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Sommer unter dem Maulbeerbaum

Titel: Sommer unter dem Maulbeerbaum
Autoren: Jude Deveraux
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wiederholte ich, unfähig, mir so etwas vorzustellen.
    »Er erwiderte: >Du hast Recht, Phillip, also werde ich dir das Grundstück überschreiben. Wenn es dann so weit ist, möchte ich, dass du es Lil übergibst. Und gib ihr auch das hier von mir.<«
    An dieser Stelle übergab mir Phillip Jimmys Zeilen. Sie befanden sich in einem versiegelten Umschlag.
    Phillip hatte sie also nicht gelesen. Er hatte sie zusammen mit der Übertragungsurkunde für die Farm in Virginia zu Hause in seinem Safe aufbewahrt, bis zu dem Tag, an dem er mir beides übergeben sollte.
    Nachdem ich die Zeilen gelesen hatte, faltete ich sie wieder zusammen und steckte sie zurück in den Umschlag. Ich weinte nicht; während der vergangenen sechs Wochen hatte ich so viele Tränen vergossen, dass es mir schien, in mir stecke kein bisschen Flüssigkeit mehr. Ich streckte die Hand nach der Übertragungsurkunde aus, doch Phillip zog sie zurück.
    »Wenn ich die auf Lillian Manville ausstelle und dann die Eigentumsüberschreibung registrieren lasse, dann haben Sie binnen vierundzwanzig Stunden jede Menge Reporter - und Anwälte - vor der Tür stehen. Allerdings ...«, fuhr er fort, zögerte aber dann. Ich starrte ihn nur an.
    »Schon gut«, gab er sich schließlich geschlagen. »Was Carol und ich uns überlegt haben, war: Sie sollten möglicherweise Ihre Identität wechseln. Sie haben so viel abgenommen, dass Sie gar nicht mehr aussehen wie James Manvilles dicke, kleine Frau.«
    Diese Bemerkung veranlasste mich, ihn mit zusammengekniffenen Augen anzuschauen. Ich wollte nicht hören, was er und Jimmys übrige Angestellten sich hinter seinem Rücken zusammengekichert hatten. Ich schätze, ich hatte nicht umsonst all die Jahre in Jimmys Nähe verbracht, denn ich konnte sehen, wie Phillip sich unter meinem Blick wand.
    »Schon gut«, wiederholte er, dann stieß er seinen aufgestauten Atem aus. »Es ist Ihre Entscheidung, aber ich habe schon eine Menge Arbeit erledigt, wie zum Beispiel, Ihnen neue Ausweispapiere zu besorgen. Ich muss James’ Beziehungen ausnutzen, solange sie sich noch an ihn erinnern. Tut mir Leid, dass ich so geradeheraus bin, aber die Menschen vergessen schnell. Also: Es liegt an Ihnen, sie anzunehmen.«
    Er gab mir einen Pass und ich schlug ihn auf. Es war kein Foto darin, nur ein Name. »Bailey James«, las ich laut und sah dann zu Phillip auf.
    »Es war Carols Idee. Sie nahm Ihren Mädchennamen und James’ Vornamen und ... Es gefällt Ihnen nicht.«
    Das Problem war, dass mir die Idee sehr wohl gefiel. Ein neuer Name, vielleicht ein neues Leben.
    »Carol dachte, so wie Sie abgenommen haben, und wenn Sie sich dann noch die Haare schneiden und tönen ließen, und wenn Sie ... nun ja, wenn Sie ...»
    Ich sah ihn an. Was fiel ihm nur so schwer auszusprechen? Doch dann bemerkte ich, dass seine Augen auf meine Nase gerichtet waren. In der ersten Klasse war ich mit dem Kopf zuerst eine Rutschbahn heruntergerutscht und hatte es fertig gebracht, dabei meine Nase so zu verletzen, dass sie für immer verunstaltet blieb. »Kein Wunder«, hatte Johnny Miller aus der Sechsten gesagt, als ich dastand und Blut spuckte. »Ihre Nase ist so groß, dass sie schon eine halbe Stunde vor ihr den Boden berührt hat.« Ich weiß noch, wie die Lehrerin mich im Arm hielt und versuchte, Mitgefühl zu zeigen, während sie sich große Mühe gab, nicht zu lachen. Immerhin wies sie Johnny an, sich für seine Bemerkung zu entschuldigen.
    »Sie wollen, dass ich mir eine neue Nase beschaffe«, sagte ich ausdruckslos.
    Phillip nickte kurz.
    Ich drehte mich um und betrachtete mich im Spiegel. Wenn Jimmy mir seine Milliarden vermacht hätte, hätte ich mir ein Gefängnis mit hohen Zäunen bauen und mich vor all den Gigolos und Schmarotzern und
    Sensationslüsternen verstecken können. Ich wusste, dass Jimmy irgendwann, vielleicht in zehn Jahren, vergessen sein, im Gedächtnis der Menschen verblassen und man mich in Ruhe lassen würde. Aber während dieser zehn Jahre ...
    Ich sah zu Phillip zurück. »Ich möchte wetten, Sie haben schon einen Chirurgen in Wartestellung.«
    »Heute Abend.« Er sah auf seine Uhr, die Zwanzigtausenddollaruhr, die Jimmy ihm geschenkt hatte. Meine trug jetzt Atlanta. »Wenn Sie bereit sind, heißt das.«
    Ich holte tief Luft. »So bereit, wie ich nur sein kann«, erwiderte ich und stand auf.
    Das war vor zwei Wochen gewesen. Meine Nase war so weit verheilt, dass ich wusste, es war an der Zeit zu gehen. Nicht Lillian Manville sollte sich der
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