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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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vom Wiedersehn.
    In leiser Luft die Ranken schwanken,
wie wenn wer Abschied winkt. – Am Pfad
stehn alle Rosen in Gedanken;
sie sehen ihren Sommer kranken,
und seine hellen Hände sanken
leise von seiner reifen Tat.
    Werke I , 177
    D ich wundert nicht des Sturmes Wucht, –
du hast ihn wachsen sehn; –
die Bäume flüchten. Ihre Flucht
schafft schreitende Alleen.
Da weißt du, der vor dem sie fliehn
ist der, zu dem du gehst,
und deine Sinne singen ihn,
wenn du am Fenster stehst.
    Des Sommers Wochen standen still,
es stieg der Bäume Blut;
jetzt fühlst du, daß es fallen will
in den der Alles tut.
Du glaubtest schon erkannt die Kraft,
als du die Frucht erfaßt,
jetzt wird sie wieder rätselhaft,
und du bist wieder Gast.
    Der Sommer war so wie dein Haus,
drin weißt du alles stehn –
jetzt mußt du in dein Herz hinaus
wie in die Ebene gehn.
Die große Einsamkeit beginnt,
die Tage werden taub,
aus deinen Sinnen nimmt der Wind
die Welt wie welkes Laub.
    Durch ihre leeren Zweige sieht
der Himmel, den du hast;
sei Erde jetzt und Abendlied
und Land, darauf er paßt.
Demütig sei jetzt wie ein Ding,
zu Wirklichkeit gereift, –
daß Der, von dem die Kunde ging,
dich fühlt, wenn er dich greift.
    Werke I , 305f.
    W enn ich von mir erzählen sollte, ich brächte eben nur hervor, daß ich immer noch auf Böckel bin, in den gastlichsten Verhältnissen, aber doch nicht recht aufatmend, denn die Landschaft hat hier nicht ganz das Befreiende für mich, das sie manchmal gegen ein bedrücktes Gemüt ausüben kann. Das Land ist selber von schwerstem Temperament, tief, feucht, etwas mürrisch; erst seit die Felder gemäht sind, mein ich manchmal seine größeren Zusammenhänge zu überschauen, es ist freier seither, aber dieser Anblick bringt zugleich zum Gefühl, wie sehr wir schon dem Herbst zuneigen, und es entsteht der Vorwurf in mir, den Sommer nicht recht wahrgenommen, nicht recht am Herzen gehabt zu haben. Wie aber sollte man auch mit
dem arglos Glücklichen der Jahreszeit den einigsten Umgang haben, da doch vor aller Natur das dichte undurchsichtige Menschliche steht, das uns allen als Verhängnis und Sorge, fast nur noch so, zum Bewußtsein kommt.
    K. Kippenberg (31. 8. 1917), 240f.
    J etzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
    Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
    Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;
auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,
welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.
    Werke I , 337
    S ind Sie zufrieden mit dem Sommer?; hätte nicht hier manchmal jemand aus den Zeitungen vorgelesen, was er alles anstiftet, – ich muß gestehen, ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, ihn für eine Heimsuchung zu halten; genau so ausführlich und deutlich mußte eigentlich ein Sommer sein, damit man sich wieder einprägt, was die letzten nassen Jahre einem ausgeredet haben. Hier, der Park hat nicht gelitten, die Beete waren glücklich die gan
ze Zeit, und um die seltenen hochstämmigen Heliotropbäume, drehte sich beständig, wie ein Sternenhimmel, eine runde Sphäre lichter Schmetterlinge. Und erst jetzt, da die Luft wieder schwankend wird und sich fortwährend umentschließt, merk ich ganz, wie gut im Grunde diese Sicherheit war, jeden Morgen diesen selben Sommer vorzufinden, der bewundernswert war wie das größte Stück Türkis oder Lapislazuli , das man kennt. Empfanden Sie's nicht auch so?
    Nostitz (18. 8. 1911), 29f.
    W as nun wieder aus den reinen Scheiten
im Kamine leidenschaftlich flammt,
das war Juli, war August vor Zeiten –,
oh, wie war es innig ein-gestammt
    in das Holz, aus dem es lodernd bricht!
Wär auch uns der Sommer eingeflößter,
unser Sommer, wenn er als ein größter
Tag entwölkte unser Angesicht.
    Auferstehung, nannten sie's, vom Tode –
Ja, das mag ein solches Flammen sein;
denn der Tod war nie der Antipode
dessen, was sich hier dem Schein
    dieser Sonne gab und ihn begehrte –.
Das zum Troste reife Herz erkennts:
Totsein ist: das in uns umgekehrte
Brennen unsres Tempraments.
    Werke II , 122

Nachwort
    » D er Sommer war ja nie und nirgends meine Hoch-Zeit. Immer und überall galt es, ihn zu überstehen.« So schreibt Rainer Maria Rilke
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