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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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nun zurück. Wir brauchten eine Zeit,
dies auszuhalten, weil es fast zerstörte,
daß solches Stehn dem Dasein angehörte,
in dem wir starben. – Hätt ich einen Sohn,
ich schickt ihn hin, in jenem Wendejahre,
da einer sich entringt ums einzig Wahre.

»Dort ist es, Charles, – geh durch den Pilon
und steh und schau …«
           Uns half es nicht mehr, wie?
Daß wirs ertrugen, war schon viel. Wir Beide:
du Leidende, in deinem Reisekleide,
und ich, Hermit in meiner Theorie.
    Und doch, die Gnade! Weißt du noch den See,
um den granitne Katzen-Bilder saßen,
Marksteine – wessen? Und man war dermaßen
gebannt ins eingezauberte Carré,
    daß, wären fünf an einer Seite nicht
gestürzt gewesen (du auch sahst dich um),
sie, wie sie waren, katzig, steinern, stumm
Gericht gehalten hätten. Voll Gericht
    war dies alles. Hier der Bann am Teich
und dort am Rand die Riesen-Skarabäe
und an den Wänden längs die Epopäe
der Könige: Gericht. Und doch zugleich
ein Freispruch, ungeheuer. Wie Figur
sich nach Figur mit reinem Mondschein füllte,
war das im klarsten Umriß ausgedüllte
Relief, in seiner muldigen Natur,
    so sehr Gefäß – –: und hier war das gefaßt,
was nie verborgen war und nie gelesen:
der Welt Geheimnis, so geheim im Wesen ,
daß es in kein Verheimlicht-Werden paßt!
    Bücher verblätterns alle: keiner las
so Offenbares je in einem Buche –,

(was hülfts, daß ich nach einem Namen suche):
das Unermeßliche kam in das Maß
    der Opferung. – Oh sieh, was ist Besitz,
solang er nicht versteht, sich darzubringen?
Die Dinge gehn vorüber. Hülf den Dingen
in ihrem Gang. Daß nicht aus einem Ritz
    dein Leben rinne. Sondern immerzu
sei du der Geber. Maultier drängt und Kuh
zur Stelle, wo des Königs Ebenbild,
der Gott, wie ein gestilltes Kind, gestillt
    hinnimmt und lächelt. Seinem Heiligtume
geht nie der Atem aus. Er nimmt und nimmt,
und doch ist solche Milderung bestimmt,
daß die Prinzessin die Papyros-Blume
oft nur umfaßt, statt sie zu brechen. –
                  Hier
sind alle Opfer-Gänge unterbrochen,
der Sonntag rafft sich auf, die langen Wochen
verstehn ihn nicht. Da schleppen Mensch und Tier
    abseits Gewinne, die der Gott nicht weiß.
Geschäft, mags schwierig sein, es ist bezwinglich;
man übts und übts, die Erde wird erschwinglich, –
wer aber nur den Preis giebt, der giebt preis.
    Werke II , 118-121
    I ch weiß nicht, wie man das völlig Wunderbare einer Welt leugnen kann, in der die Zunahme des Berechneten die Vorräte dessen, was über jedes Absehn hinausgeht, noch gar nicht einmal angegriffen hat. Es ist wahr, die Götter haben keine Gelegenheit verschmäht, uns bloßzustellen: sie ließen uns die großen Könige Ägyptens aufdecken in ihren Grabkammern, und wir konnten sie sehen in ihren natürlichen Verwesungen, wie ihnen nichts erspart geblieben war. Alle die äußersten Leistungen jener Bauwerke und Malereien haben zu nichts geführt; hinter dem Qualm der Balsamküchen ward kein Himmel erheitert, und der tönernen Brote und Beischläferinnen hat sich kein unterweltlicher Schwarm scheinbar bedient. Wer bedenkt, welche Fülle reinster und gewaltigster Vorstellungen hier (und immer wieder) von den unbegreiflichen Wesen, an die sie angewandt waren, abgelehnt und verleugnet worden ist, wie möchte der nicht zittern für unsere größere Zukunft. Aber bedenke er auch, was das menschliche Herz wäre, wenn außerhalb seiner, draußen, an irgend einem Platze der Welt Gewißheit entstünde; letzte Gewißheit. Wie es mit einem Schlage seine ganze in Jahrtausenden angewachsene Spannung verlöre, eine zwar immer noch rühmliche Stelle bliebe, aber eine, von der man heimlich erzählte, was sie vor Zeiten gewesen sei. Denn wahrlich, auch die Größe der Götter hängt an ihrer Not: daran, daß sie, was man ihnen auch für Gehäuse behüte, nirgends in Sicherheit sind, als in unserem Herzen. Dorthin stürzen sie oft aus dem Schlaf mit noch ungesonderten Plänen; dort kommen sie ernst und beratend zusammen; dort wird ihr Beschluß unaufhaltsam.
    Werke VI (Über den jungen Dichter), 1047f.
    A ber wir, eingezwängt zwischen Gestern und Morgen, wir, werden wir je wieder am Schweben der großen Beziehungen arglos, still, gelassen beteiligt sein? Oder verschreckt unten bleiben mit dem Stempel einer Zeit auf den Schultern, Mitwisser unvergeßlicher Einzelheiten, Mitschuldige am Großen wie am Nur-Furchtbaren, aufgebraucht von diesem Ertragen und
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