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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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alles sehenswert ist oder nichts; in der, was man konstatiert, schon gewissermaßen aufhört zu sein: so empfindlich ist es in seiner unbeschreiblichen Existenz; in der endlich alle Lebensvoraussetzungen und -Umstände so anders sind, daß man mehr in ein bestimmtes Stadium der Seelenwanderung als in eine Fremdenstadt geräth, die sich in so und so viel Tagen bewältigen läßt. (Was sind Tage in Venedig? Man zählt sie nicht, man weiß nicht, wie lang sie sind, wann sie anfangen, wann sie enden; es ist ein Zustand verwandelten Seins. Man ist wie Zucker im Thee, kein Stück mehr, auf keine Weise wieder herauszuholen und ein bischen überall-.)
    Aus Opposition gegen des Baedeker's Tempo hat man sich denn auch schon angewöhnt, diese unvergleichliche Welt, deren Wirklichkeit so einzig und eigen ist und so lautlos aufsteigend und verweilend wie ein Traum, als einen Traum hinzunehmen; passiv fast, lässig zurückgelehnt, ohne bestimmte Initiative. Und doch ist auch dieses nicht die richtige Verfassung. Denn wenn es etwas recht Unwillkürliches ist, einen Traum zu träumen, so gehört sicher umsomehr Willen dazu, ihn zu verwirklichen: was hier geschehen ist. Und man berührt Venedig erst, wenn man sich entschließt, an sein Dasein, bei aller Unterwerfung, eine gewisse innere Beweglichkeit zu wenden, ein tiefinneres Mitarbeiten und Betheiligtsein an seiner Existenz, die
geradezu im Brennpunkt von tausend Aktivitäten sich gebildet und entfaltet hat.
    Heydt (24. 3. 1908), 144f.
    E in Italien-Handbuch, welches zum Genuß anleiten wollte, dürfte ein einziges Wort und einen einzigen Rat enthalten: Schau! Wer eine bestimmte Kultur in sich hat, muß mit dieser Anleitung auskommen. Er wird nicht eine Reihe von Kenntnissen erwerben und kaum erraten, ob dieses Werk aus der Spätzeit eines Künstlers stammt oder ob in jenem die, ›breite Manier seines Meisters‹ sich geltend macht. Aber er wird eine Fülle von Willen und Macht erkennen, die aus Sehnsucht und Bangen kam, und wird durch diese Offenbarung besser, größer und dankbarer werden.
    Tagebücher, 31
    Spanische Tänzerin
    W ie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,
eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
zuckende Zungen streckt –: beginnt im Kreis
naher Beschauer hastig, hell und heiß
ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.
    Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.
    Mit einem Blick entzündet sie ihr Haar
und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,
die nackten Arme wach und klappernd strecken.
    Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
und flammt noch immer und ergiebt sich nicht –.
    Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.
    Werke I , 531f.
    Das XVIII. Sonett an Orpheus
    T änzerin: o du Verlegung
alles Vergehens in Gang: wie brachtest du's dar.
Und der Wirbel am Schluß, dieser Baum aus Bewegung,
nahm er nicht ganz in Besitz das erschwungene Jahr?
    Blühte nicht, daß ihn dein Schwingen von vorhin umschwärme, 
plötzlich sein Wipfel von Stille? Und über ihr,
war sie nicht Sonne, war sie nicht Sommer, die Wärme,
diese unzählige Wärme aus dir?
    Aber er trug auch, er trug, dein Baum der Ekstase.
Sind sie nicht seine ruhigen Früchte: der Krug,
reifend gestreift, und die gereiftere Vase?
    Und in den Bildern: ist nicht die Zeichnung geblieben,
die deiner Braue dunkler Zug
rasch an die Wandung der eigenen Wendung geschrieben?
    Werke I , 763
    Corrida
    In memoriam Montez, 1830
    S eit er, klein beinah, aus dem Toril
ausbrach, aufgescheuchten Augs und Ohrs,
und den Eigensinn des Picadors
und die Bänderhaken wie im Spiel
    hinnahm, ist die stürmische Gestalt
angewachsen – sieh: zu welcher Masse,
aufgehäuft aus altem schwarzen Hasse,
und das Haupt zu einer Faust geballt,
    nicht mehr spielend gegen irgendwen,
nein: die blutigen Nackenhaken hissend
hinter den gefällten Hörnern, wissend
und von Ewigkeit her gegen Den,
    der in Gold und mauver Rosaseide
plötzlich umkehrt und, wie einen Schwarm
Bienen und als ob ers eben leide,
den Bestürzten unter seinem Arm
    durchläßt, – während seine Blicke heiß
sich noch einmal heben, leichtgelenkt,
und als schlüge draußen jener Kreis
sich aus ihrem Glanz und Dunkel nieder
und aus jedem Schlagen seiner Lider,
    ehe er
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