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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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oft kann ichs nicht. Das Entscheidende der Kunst, was die Leute lange »Eingebung« nannten, ist freilich nicht uns in die Macht gegeben, aber das hab ich immer verstanden, dass dies nicht anders sein dürfte bei unserer Unzuverlässigkeit, es hat mich nie beunruhigt, ich habe nie das mindeste Mittel angewandt, es herauszureizen –, dem Göttlichen gegenüber Geduld haben, ist so natürlich, denn es hat andere Maaße. Jene Sorge kommt mir von einer anderen Seite und hat sich nur langsam bis dorthin verbreitet und angesteckt, wo meine wirklichen Sicherheiten liegen. Ein junger, ein wenig sonderlinghafter französischer Autor (ich möchte Ihnen sein Buch – er heißt Marcel Proust – schicken und zwar dasselbe Exemplar meiner Abende, mit einzelnen Bleistiftstrichen) spricht von einer besonderen Angst, die in seiner Kindheit eine große Wichtigkeit und viel Einfluss über ihn besaß; im späteren Verlaufe seins Lebens, da schon längst von ihr keine Rede mehr sein kann, meint er, sie in anderen Gestalten wiederzuerkennen, c'est cette angoisse qui revient dans l'amour –; wenn das wahr sein kann, so ist's bei mir die nächste Phase, l'angoisse de ne pouvoir pas aimer qui revient dans le travail.
    Hattingberg (8. 2. 1914), 51f.
    W underbare Räthsel der Anpassung übrigens; eine Woche –, und schon (heute morgen zum ersten Mal, während ich Ihren Brief unten auf der Bank in der Sonne las) schon geht die Katze vorbei und sagt mir im Vorübergehen, eine hausgenössische Kleinigkeit, – schon flattern die Tauben nicht mehr erschreckt von den Stäben wenn ich die Treppe hinaufkomme vom Garten her. Über die Schulter zurück schauen sie mich aus den gelbumringten Pupillen an –, woran sie mich erkennen mögen? Erführe ich das, sagte es mir eine von ihnen und ich könnte mich herumordnen um das , woran sie mich erkennen, vielleicht wär ich mit einem Schritt viel weiter im eigenen Leben, viel freier viel gesicherter und weiß der Himmel wie froh.
    Wunderly I (20. 5. 1921), 437
    … I ch bin nicht müßig, und es ist nichts Träges in mir; allerhand Strömung und eine Bewegung, die durch Tiefe und Oberfläche hin dieselbe ist. Eine ganz gute Bewegung. Ich schreibe nicht einmal Tagebuch, hoffe nur immer über allerhand Briefe, die noch zu schreiben sind, hinauszukommen und mich durch allerhand Bücher durchzulesen, die noch zu lesen sind. Daß ich dänische Leseversuche mache, täglich drei bis vier Stunden, ist ja auch etwas und will seine Zeit und hat sie, und will seine Kraft. – Trotz alledem scheint es mir, daß ich baue; am Unsichtbaren, am Unsichtbarsten, an irgendeinem Fundament; nein, das ist zuviel; aber daß ich den Grund aushebe für etwas, was da einmal aufgerichtet werden soll; eine vollkommen unscheinbare Tätigkeit, für die Tagelöhner und Handlanger genügen (wie man meint).
    Damit soll nur gesagt sein, wie es hier steht; ohne Klage und ohne Bedauern ist es gesagt. Vielleicht wäre es am besten, ich taufte diese Zeit: Erholung und lebte sie so (man soll Erholung und Arbeit nicht mischen, halb und halb, wie es immer wieder aus Zaghaftigkeit und versagender Kraft geschieht), aber dazu fehlt mir doch die Freudigkeit, fehlt mir irgend etwas, was ich vorher getan haben müßte. Ein Ausgangspunkt, ein Zeugnis, eine vor mir selbst bestandene Prüfung.
    Nun auch so, wie sie ist und geht, wird diese Zeit gut
für mich sein, wenn nicht sammelnd, so doch! Sammlung vorbereitend. Der Sommer war ja nie und nirgends meine Hoch-Zeit. Immer und überall galt es, ihn zu überstehen; aber der Herbst müßte dieses Jahr wieder mein sein. Wenn ich dann eine stille Stube bei großen herbstlichen Laubbäumen, nahe am Meer, allein und gesund und in Ruhe gelassen, bewohnte (und in Kopenhagens und des Sundes Nähe könnte glücklichsten Falles alles das gefunden sein), so könnte sich vieles verändern in meinem Leben, manches Heil könnte da zur Welt gebracht werden.
    Briefe I (Clara Rilke, 24. 7. 1904), 93f.
    L esen Sie möglichst wenig ästhetisch-kritische Dinge, – es sind entweder Parteiansichten, versteinert und sinnlos geworden in ihrem leblosen Verhärtetsein, oder es sind geschickte Wortspiele, bei denen heute diese Ansicht gewinnt und morgen die entgegengesetzte. Kunst-Werke sind von einer unendlichen Einsamkeit und mit nichts so wenig erreichbar als mit Kritik. Nur Liebe kann sie erfassen und halten und kann gerecht sein gegen sie. – Geben Sie jedesmal sich und Ihrem Gefühl recht, jeder solchen
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