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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
Autoren: Jeff Somers
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allmählich nachließ, spürte ich doch immer noch, wie sich dieser eisige Klumpen durch meinen Körper bewegte, auch wenn er sich bereits spürbar erwärmte. Mir ging noch etwas durch den Kopf: Wenn sich das Ding nicht aufgewärmt hat, bevor es mein Herz oder mein Hirn erreicht, dann bin ich tot – ein Schock-Aneurysma würde mich mit schwarzem, alles erstickenden Blut überfluten.
    Die Schweber-Verdrängung war jetzt lauter, und ich konnte deutlicher hören, wie meine Entführer den Rückzug antraten. Ich kämpfte mich wieder auf die Knie. Kies und scharfkantige Steine bohrten sich durch den Stoff meiner Hose hindurch in meine Haut – und da blieben sie auch stecken. Der Schnee brannte mir im Gesicht, meine Hände waren taub von den Fesseln. Ich lauschte dem Knirschen der Schritte im Schnee und hörte, wie der Schweber näher kam, bis die Verdrängung mich erfasste und durchschüttelte, als hätten mich unsichtbare Fäuste gepackt. Der Boden unter mir zitterte, als der Schweber aufsetzte. Abrupt erstarben die Motoren, und so hörte ich einen Augenblick lang nichts als den Wind und mein eigenes keuchendes Atmen. Blut, warm und feucht, rann mir den Hals herab und durchweichte den Stoff meines Hemdes.
    Ich ballte die Hände zu Fäusten, als ich hörte, wie die Luke des Schwebers sich öffnete. Ich bewegte die Kiefer, versuchte mich unter Kontrolle zu halten. Ich hatte schon ein Dutzend Male dem Tod ins Auge gesehen. Ach verdammt, ich war sogar schon eine kurze Zeitspanne lang tot gewesen, damals, in London, vor all den Jahren.
    Ich war wütend.
    »Chief?«, hörte ich Gleason nach mir rufen. Sie hatte sich ganz schön weiterentwickelt: Früher war sie ein abgemagerter Teenager gewesen, der gern mit Messern herumspielte. Sie war eine unserer ersten Rekruten gewesen, als Belling und ich aus London zurückgekehrt waren: wohlhabend, traumatisiert und schon damals von Dick Marin und seinen System-Cops zum Abschuss freigegeben. »Chief, bist du in Ordnung?«
    Ich hörte, wie Stiefel den Schnee zusammenpressten. Ich zitterte vor Zorn. Überall war dieser Zorn, Adrenalin pulsierte mir durch die Adern. Ich bildete mir ein, wenn ich nur gewollt hätte, hätte ich diese Fesseln mit einem einzigen Ruck zerreißen können. Wer auch immer diese Dreckskerle waren, sie hatten ihre Chance gehabt. Die hatten mich dazu gebracht, vor ihnen auf die Knie zu gehen, mit gefesselten Händen, und aus irgendeinem Grund waren sie einfach davonspaziert. Ich wusste nicht, was die mit mir angestellt hatten. Aber ich würde nicht vergessen, was hier geschehen war, und ich würde mich auch nicht bloß darauf besinnen, wie viel Glück ich doch gehabt hatte.
    »Haltet die Augen offen!«, hörte ich Belling befehlen, und seine sanfte Stimme klang sehr aufgeregt. »Gottverdammte Amateure!«
    »Durchhalten«, sagte mir Gleason ins Ohr. Ich konnte sie riechen, ihren sauberen, hübschen Duft, und spürte, wie sie an den Gummifesseln zerrte. Dann hörte ich das vertraute Klick von einem ihrer Messer. Gleason hatte wirklich etwas für Messer übrig. Sie weigerte sich, eine Schusswaffe zu tragen, sagte immer, Schusswaffen seien etwas für Arschlöcher, für irgendwelche Downtown-Gossensoldaten. Sie selbst konnte sogar im Dunkeln ein anständig ausbalanciertes Messer quer durch einen Raum werfen und jedes Mal genau treffen. Ich konnte mich noch genau an die Glee von damals erinnern, dieses hagere, kleine Mädchen, das fast nie etwas gesagt hatte. Jetzt gelang es mir nur höchst selten, sie zum Schweigen zu bringen.
    Ein kurzer Ruck, dann waren meine Hände wieder frei, und die Fesseln fielen einfach zu Boden. Ich stand auf und wirbelte herum, riss mir die Augenbinde vom Kopf. Kurz hielt ich inne; das gleißende, weiße Sonnenlicht ließ mich blinzeln. Wir befanden uns wirklich in einer Stadt, da hatte ich mich also nicht getäuscht. Wir standen genau vor einer Kirche. Die Stadt rings um uns bestand nur noch aus einem menschenleeren Trümmerfeld, hier und dort ragten Ruinen empor wie alte Zahnstummel. Das Gelände vor der Kirche aber hatte man geräumt. Jetzt lag darüber eine auffallend saubere, weiße Schneedecke. Die Scheiß-Kirche selbst war riesig; geborstene, pockennarbige Treppenstufen führten zu einem Portal, dessen Flügeltüren jemand schon vor langer Zeit abmontiert hatte. Über der Tür klaffte ein gewaltiges Loch, einige scharfkantige Mauerreste ragten noch empor. Ich konnte die unfassbare Masse dieser Steinbrocken kaum fassen: als hätte die
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