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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
Autoren: Jeff Somers
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verschwand schlagartig. Ich hörte Vögel in der Luft, eine Vielzahl verschiedenster Rufe. Noch nie im Leben hatte ich so viele Vögel gehört.
    »Für alle diese Dinge, Avery, hast du wirklich den Tod verdient.«
    Alles hatte sich geändert. Das hier waren keine umherstolzierenden Arschlöcher, die mir einfach nur Angst einjagen wollten. Es ging auch nicht darum, von irgendeinem dickeren Fisch eine ordentliche Prämie einzuheimsen. Ich war geübt darin, mit der Gefahr zu leben, einen plötzlichen, unerwarteten Tod zu erleiden – an jedem einzelnen Tag meines Lebens. Aber jetzt unter die Nase gerieben zu bekommen, gleich tot zu sein, schockierte mich dann doch, und ich erstarrte.
    Unter dem Schutz des Tuches vor dem Gesicht kniff ich die Augen zusammen. Es gibt bessere Arten zu sterben, dachte ich, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich hatte länger gelebt, als ich jemals für möglich gehalten hatte. Ich hatte das Gefühl, einen Großteil dieser Zeit schon unendlich erschöpft gewesen zu sein. Dennoch hatte ich mich immer weitergeschleppt, ohne richtigen Schlaf, immer mit letzter Kraft. Ich stellte fest, dass ein Teil meines Selbst – ein winziger Teil zwar, aber deutlich zu spüren -plötzlich regelrecht glücklich war. Der Wind peitschte mir immer noch entgegen, heulte tonlos. Der Schnee brannte ein wenig auf meinem Gesicht, und ich wusste, dass die Haut dort noch einige Tage lang rot bleiben würde. Die Waffe bohrte sich in meine Haut; es schmerzte. Und ich ertappte mich dabei, mich der Waffe geradezu entgegenzuwerfen, mich an ihre Mündung zu pressen, als würde ich ganz gezielt eine alte Wunde aufreißen wollen.
    Ich hatte das Gefühl, meine Leute würden doch nicht rechtzeitig eintreffen.
    »Das ist keine Hinrichtung, Avery«, fuhr die Stimme fort. »Das ist ein Attentat. Nicht auf dich. Aber trotzdem ein gottverdammtes Attentat.«
    Ich war bereit. Ich würde kein Wort sagen. Ich spannte die Kiefermuskeln an und kniff die Augen zusammen. Es galt, den Kopf freizubekommen und nachzudenken. Andererseits gab es nichts, was ich hätte tun können. Ich war gefesselt und blind und war von mindestens zehn Personen umringt. Den subtilen Mechanismus des Todes kannte ich besser als jeder andere, und jetzt war ich nicht mehr als ein Rädchen in seinem Getriebe. Schließlich war das hier immer noch das System. Ich konnte mich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem ich nicht den Tod ganz dicht in meiner Nähe gespürt hätte. Immer schon war er einfach nur dicht an meiner Seite genau neben mir herspaziert. Er war da gewesen, damals, in dem dreckigen Krankenzimmer meines Vaters, in dem es so übel gerochen hatte. Das war kurz vor der Vereinigung gewesen, als es noch verschiedene Länder gegeben hatte und wenigstens den Hauch einer Chance auf ein halbwegs vernünftiges Leben. Und der Tod war jetzt hier, in diesem Moment: wie immer ganz in der Nähe. In jedermanns Nähe. Abgesehen natürlich von den Mönchen und Dick Marin. Und selbst deren Batterien mussten irgendwann einmal leerlaufen.
    Der Wind übertönte fast die Schweber-Verdrängung in der Ferne.
    »Dreh ihn so, dass ich an seinen Hals komme!«, sagte die Stimme.
    Zwei weitere Hände – harte, kalte Hände, eingehüllt in Handschuhe aus knarzendem Leder – griffen nach meinem Haar und packten mich am Kinn, und dann drehten sie meinen Kopf ruckartig nach links. Es tat weh. Einen endlosen Moment lang herrschte völlige Stille, während ich dort kniete, festgehalten von zwei kräftigen Händen. Und ich dachte nur:
    Mach schon, jetzt mach doch schon, verdammte Scheiße! Irgendetwas stach mir in den Hals, als würde man mir eine Glasscherbe quer über den Kehlkopf ziehen – ein Schmerz, der überhaupt nicht mehr aufhörte. Dann wurde etwas Eiskaltes in mich hineingepumpt. Kälte packte mich, eine Kälte, von der ich deutlich spürte, wie sie in meinen Adern allmählich meinen ganzen Körper durchwanderte – wie ein Wurm, der sich durch meine papierdünnen Venen schlängelte.
    Ich biss mir so fest auf die Zähne, dass es schmerzte. Aber gesagt hatte ich kein einziges Wort. Das sonderbare Glasstück wurde wieder zurückgezogen, und dann war es fort.
    »Leb wohl, Avery«, sagte die Stimme. »Und mach dir keine Sorgen: Wenn alles vorbei ist, wirst du deine Strafe bekommen. Er hat mir gesagt, wie es enden wird. Und Er täuscht sich niemals.«
    Gleichzeitig verschwanden die Hände, und ich kippte hilflos zur Seite. Mein Hals pulsierte, und auch wenn der Schmerz
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