Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
an die Familie verteilt worden war, war ihm die kleinste Parzelle zugefallen. Der alte Zack war Prediger in der Baptistenkirche von Rush Branch gewesen, so wie heute Rays ältester Bruder David. David hatte laut Testament 24 Hektar bekommen. Seitdem hatte sich Ray nur selten in der Kirche blicken lassen, meistens zu Beerdigungen oder Hochzeiten und immer, wenn es leckeren hausgebackenen Kuchen gab.
    Ray drehte sich um und schaute auf das gehauene Gras, das hinter ihm lag. Es sah so aus, als ob es trocken bleiben würde. Wenn es fünf Tage nicht regnete, würde Ray es schaffen, das Heu zu Ballen zu pressen und in die Scheune einzufahren. Er hatte zwölf Rinder, aber so, wie die Leute hier Ziegen züchteten, wäre er wahrscheinlich besser dran, wenn er die Herde schlachtete und seine Grundsteuer aus dem verkauften Heu bezahlte. Er konnte verstehen, warum die Leute lieber Ziegen als Kühe hielten. Sie brauchten kein saftiges Weidegras, sondern fraßen auch an spärlich bewachsenen Stellen. Man konnte sie einfach im Wald loslassen, sie waren total beliebt, und steile Hänge machten ihnen auch nichts aus.
    Aber Ziegen hatten auch Nachteile – wie alles, was mit Landwirtschaft zu tun hatte. Das hatte Ray gelernt. Ziegenfleisch schmeckte wie Wildbret, nur noch mehr nach Wild. Und hatte schon mal jemand Ziegenfleisch bei McDonald’s gesehen? Ein paar Biobauern, die sich in den letzten zehn Jahren in Solom angesiedelt hatten, hatten sich auf Ziegenmilch verlegt. Wenn man sie nicht zwei Mal am Tag molk, schrien die Ziegen Zeter und Mordio. Dabei war der Ertrag nicht besonders üppig, und wenn man daraus keinen Käse machte, musste man die Milch auf den Biomarkt nach Asheville oder Charlotte bringen. In beiden Städten wimmelte es nur so von Schwulen, außerdem war Asheville für seine Hexen bekannt. Was Ray anging, konnten die Bio-Hippies diesen kleinen Markt ruhig für sich behalten.
    Ray wischte sich den Schweiß von der Glatze. Auf der Straße fuhr ein Cadillac vorbei, in jungfräulichem Weiß und mit Reifen, die so breit waren, dass man damit eine Pizza ausrollen konnte. Blöder Touri. Ray wollte ihm am liebsten den Finger zeigen, aber Sarah vom Tante-Emma-Laden hatte ihm erklärt, dass sie das Geld von »draußen« brauchten. Die Yankees mit ihren Ferienhäusern zahlten eine Menge Steuern, brauchten aber nicht viel, weil sie nur zwei oder drei Monate pro Jahr hier verbrachten.
    Aber ein Yankee war und blieb ein Yankee. Das war seit dem Bürgerkrieg so. Damals hatte die Invasion begonnen, und sie dauerte immer noch an. Nur hatte sie andere Formen angenommen. Anstelle von Kavalleristen und windigen Politikern schickte New York jetzt Immobilienhaie und Architekten mit ihren blassen, dürren Frauen.
    Aber der Fahrer dieses strahlendweißen Stahlkolosses schaffte sein Geld vielleicht in den Laden von Sarah, die süß wie Zuckerwatte lächeln würde. Also hob Ray seine Hand zu einem halbherzigen Gruß. Touris fanden so was toll – der Bauer auf seinem Feld, ein Bild von ländlicher Idylle, wo die Welt noch in Ordnung war. Aber in Ordnung war hier schon lange nichts mehr. Man konnte keinen Tauschhandel mehr betreiben, und die Verwaltung wurde mit jedem Jahr aufgeblasener, obwohl im Süden jetzt die Republikaner das Sagen hatten. Ray konnte seine Erzeugnisse zwar auf den Bauernmarkt in Boone noch schwarz verkaufen, aber er musste sich auch beim landwirtschaftlichen Beratungsdienst eintragen lassen, damit er die entsprechenden Informationen bekam, wenn die Regierung mal wieder Förderprogramme für die eine oder andere Feldfrucht beschloss.
    Der Cadillac verschwand hinter der Kurve und Ray wendete den Traktor. Er ließ das Mähwerk herunter. Die starken Messer bissen sich durch Klee und Löwenzahn, Roggen und Sauerampfer. Der Duft des Grüns stieg in seine Nase. Eine Bremse setzte sich in seinen Nacken. Er versuchte sie zu verjagen, sie flatterte kurz auf und landete genau neben seinem Ohr. Ray schlug nach ihr und schaute dabei nach hinten. So sah er nicht, wie sein Traktor gegen einen Huckel fuhr, so dass die Vorderräder nach oben hüpften. Er wollte die Kupplung treten, doch da waren die Hinterräder schon über den Huckel gerollt. Das Mähwerk gab ein winselndes Geräusch von sich, und als Ray nach hinten blickte, sah er, wie eine dunkle Flüssigkeit unter dem Schutzschild hervorspritzte.
    »Verfluchte Scheiße«, japste er und legte den Leerlauf ein, um die Messer zum Stillstand zu bringen. Er zog die Handbremse an und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher