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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Autoren: Scott Nicholson
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sich den Dialekt der Berge zugelegt, teils unbewusst, zum Teil aber auch, weil sich so die Illusion von der heilen Welt besser verkaufen ließ.
    Der Schatten schlurfte auf sie zu. Hier in der Gegend antworteten die Leute in der Regel, wenn man sie etwas fragte – selbst die Touristen. Doch manchmal kam irgendein Idiot, der schnelles Geld brauchte. Sie rechnete fix durch und kam zu dem Schluss, dass sie ungefähr achtzig Dollar in der Kasse hatte. Dafür konnte man heutzutage schon umgebracht werden.
    Sarah lehnte den Besen an den Ladentisch und suchte mit den Augen nach der Schrotflinte, die auf dem zweiten Regalboden unter der Kasse lag. Die Flinte war zwar geölt, jedoch in den letzten zwanzig Jahren nicht einmal benutzt worden. Jetzt lag sie unter einem Stapel alter Zeitungen. High Country News, ein Anzeigenblatt, das so fürchterlich war, dass sie es nicht an die Leute rausgeben wollte. Sie versteckte die Zeitungen immer unter dem Ladentisch, damit sie den netten jungen Mann mit dem Bürstenschnitt nicht enttäuschte, der sie jeden Donnerstagmorgen anlieferte. Zwischen ihr und der Waffe lagen mindestens zwei Monate journalistischer Müll.
    Sie musste sich irgendwie aus der Sache herauswinden. »Ich habe hier einen ganz tollen Schinken«, versuchte sie ihr Glück. »Neun Dollar. Da braucht Ihre Frau heute Abend nicht zu kochen.«
    Nichts, nicht mal ein Murren. Der Mann war schon drei Schritte in den Laden hineingekommen. Hätte sie bloß noch mehr Lampen angelassen. So war es ziemlich schummrig hier, aber das lag an der Stromgesellschaft. Früher gab es an der Talsperre von Blackburn eine Turbine, die genug Strom für den Laden und zwei Dutzend weitere Häuser erzeugte. Dann legte die Stromgesellschaft fünf Landkreise zusammen. Nun gab es nur noch hopp oder top – entweder man war am Netz oder nicht. Seitdem wurde die Stromrechnung jeden Monat höher.
    Sarah erkannte jetzt die Umrisse des Mannes. Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, obwohl die kühlen Tage des Herbstes erst noch bevorstanden. Die Krempe seines Hutes war vorn umgeklappt, so dass sein Gesicht im Schatten lag.
    Da stand er nun, der Fremde. Sein Atem pfiff wie eine Dampflok in weiter Ferne. Dort, wo die Eisenwaren lagen, knirschte etwas. Nach Sonnenuntergang vermied Sarah diesen Teil des Ladens, ganz hinten in der Ecke. Irgendetwas stimmte dort nicht: Die Batterien liefen aus, Nagelkisten standen einfach so offen, in den Fingern der Arbeitshandschuhe klafften plötzlich Löcher. Ihr Vater hatte auch Waffen verkauft, die Munition hatte er verschlossen in dieser Ecke gelagert. Eines Nachmittags jedoch waren ein paar Patronen aus irgendeinem Grund heiß geworden und in die Luft gegangen. Winzige Bleistückchen waren über die Köpfe der Kunden hinweggeschwirrt. Wenn sie jetzt nur auch eine Zauberkugel hätte, mit der sie dem Fremden den Hut vom Kopf schießen könnte!
    Denn irgendwie passte dieser Hut nicht hierher.
    »Sind Sie das erste Mal in Solom?«, fragte sie mit ruhiger Stimme. Sie ging langsam auf den Ladentisch zu, näher zur Kasse und ihrer Flinte. Sie hatte gerade ein paar Reißzwecken in das Regalbrett geschlagen, damit sie ihre Metallschilder aufhängen konnte. Auf den Schildern standen schlaue Sprüche wie zum Beispiel »Ein Tag beim Angeln ist besser als ein Tag auf Arbeit« oder »Ich bin nicht alt, nur erfahren«. Sie lehnte sich mit einem Ellbogen auf den Ladentisch und langte mit der anderen Hand nach dem Hammer. Er fühlte sich gut an in ihrer Hand.
    »Übernachten Sie im Tester Bed & Breakfast?«, fragte sie den Stummen. »Oder in den Blockhütten von Happy Hollow?«
    Sarah hielt den Hammer auf Hüfthöhe. Sie stellte sich vor, wie sie ihn in das dunkle, unbekannte Gesicht schleuderte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem müden Lächeln, mit dem sie auch unbekannte Kunden begrüßte. Ein Ausdruck, der Mitleid erregen und den Wunsch wecken sollte, der armen alten Frau etwas Gutes zu tun. »Sie sind nicht von hier, stimmt’s?«
    Der Fremde trat in den Lichtkegel und lüftete seinen Hut. »Ich war mal von hier«, sagte er mit einem Lächeln. Seine Stimme war ruhig und entspannt wie ein tiefer Strom. »Aber das ist schon ein Weilchen her.«
    Sarah ließ den Hammer fallen und brach sich dabei fast den großen Zeh.

 
     
     
    3. KAPITEL
     
    Ray Tester zog am Hebel unter dem Dieselhahn seines Massey Ferguson. Die Ackerschiene mit dem Mähwerk hob sich. Ray hatte nur vier Hektar Land. Als Zacharias Tester gestorben und sein Land
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