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Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Titel: Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
Autoren: William Boyd
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sie flink an seinem Tisch vorbeilief. Er bemerkte nur, dass sie groß und blond war, ein cremefarbenes Kleid trug und ihre Schuhe mit kleinen, klobigen goldenen Absätzen versehen waren, die im Licht der Tischlampen aufleuchteten, als sie den Speisesaal verließ.
    Er streute ein bisschen Pfeffer auf sein Rührei. Eine ordentliche Mahlzeit war die erste unabdingbare Voraussetzung für einen gelungenen Start in den Tag. Er hatte seiner Sekretärin gesagt, dass er nicht ins Büro kommen würde – das war Teil seines Geschenks an sich selbst. Unmöglich, seinen 45. Geburtstag mit der Aussicht auf einen ganz gewöhnlichen Arbeitstag zu begehen, genauso unmöglich, wie ihn ohne ein anständiges Frühstück zu beginnen. Er bestellte ein weiteres Kännchen Kaffee – die heiße Flüssigkeit tat seinem Hals gut. Seltsam, dass diese Frau im Lift aufgetaucht war, noch seltsamer, dass sie seinen Geburtstag erraten hatte … Komischer Zufall. Er rief sich einen der wichtigsten Leitsätze seines Berufsstands in Erinnerung: Was nach Zufall aussieht, ist höchstwahrscheinlich keiner. Dessen ungeachtet gab es im Leben ständig echte Zufälle, das war nicht zu leugnen. Außerdem war diese Frau sehr attraktiv. Ihm gefiel die Art, wie sie sich frisierte. Gepflegt, aber natürlich –
    Der Oberkellner bot ihm ein Exemplar der Times an. Bond warf einen Blick auf die Schlagzeile – »Vietcong-Offensive mit herben Verlusten abgewehrt« – und winkte ab. Heute nicht, vielen Dank. Dieser Reißverschluss an ihrem Anzug – ihrem Catsuit – war die reinste Provokation, er schrie danach, aufgezogen zu werden. Bond lächelte insgeheim, während er sich den Vorgang ausmalte, und trank weiter Kaffee – noch gehörte er nicht zum alten Eisen.
    Bond kehrte in sein Zimmer zurück und packte ein, was er am Vorabend getragen hatte, Smoking, Hemd und Unterwäsche. Dann steckte er seinen Kulturbeutel in die Reisetasche und vergewisserte sich, dass er nichts vergessen hatte. Wegen seiner Schmerzen würde er ein paar Aspirin nehmen müssen. Der Kaffee hatte sie vorübergehend gelindert, doch jetzt fühlte sich sein Hals dick und geschwollen an, er konnte kaum schlucken. Grippe? Eher eine Erkältung – Fieber hatte er zum Glück nicht. Außerdem stand ihm der ganze Tag zur freien Verfügung – er musste zwar ein paar Pflichten nachkommen, aber er würde sich auch etliche Geburtstagsfreuden genehmigen.
    Am Empfang scharte sich ein Dutzend japanische Touristen, die offenbar alle gleichzeitig nach der Rechnung verlangten. Bond nahm eine Zigarette aus seinem Etui und stellte dabei leicht beunruhigt fest, dass er am Vorabend mehr als dreißig geraucht haben musste. Er hatte das Etui aufgefüllt, bevor er ins Kasino ging. An diesem Tag verbat sich allerdings jeder Gedanke an Verzicht und Selbstdisziplin, ganz im Gegenteil, er wollte ihn in vollen Zügen genießen. Just als er sein Feuerzeug aus der Tasche holte, stieg ihm wieder der Duft von Shalimar in die Nase und eine vertraute Frauenstimme fragte: »Hätten Sie mal Feuer für mich?«
    Während Bond ihr Feuer gab, hielt sie seine Hand mit zwei Fingern fest. Zu ihren Füßen lag eine kleine Reisetasche aus cremefarbenem Leder. Sie checkte also ebenfalls aus – Zufall? Bond steckte seine Zigarette an und sah ihr direkt in die Augen. Sie blies den Rauch seitlich weg und erwiderte ungerührt seinen Blick.
    »Folgen Sie mir oder folge ich Ihnen?«, sagte sie.
    »Wir laufen uns recht oft über den Weg, so viel steht fest«, antwortete er. Er streckte die Hand aus. »Mein Name ist Bond, James Bond.«
    »Bryce Fitzjohn.« Beim Händeschütteln bemerkte Bond mit Wohlgefallen, dass sie kurze, unlackierte Fingernägel und einen festen Händedruck hatte. »Feiern Sie Ihren Geburtstag immer allein?«
    »Nicht immer«, sagte Bond. »Dieses Jahr war mir einfach nicht nach Gesellschaft.«
    Sie blickte auf, als die Japaner sich zerstreuten.
    »Na endlich«, sagte sie. Bond meinte den Hauch eines Akzents zu erkennen. Bryce Fitzjohn – Irin?
    »Nach Ihnen«, sagte Bond.
    Sie öffnete ihre Handtasche und zog eine Visitenkarte heraus.
    »Meinen Scheidungstag begehe ich am Schluss immer mit einer kleinen Cocktailparty. Heute Abend bei mir. Es kommen ein paar unterhaltsame und interessante Leute. Sie sind herzlich eingeladen. Um sechs geht es los, und dann sehen wir, wie sich der Abend entwickelt.«
    Bond nahm die Visitenkarte entgegen – jetzt läuteten bei ihm ganz leise die Alarmglocken. Sie spielte mit offenen Karten.
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