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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache
Autoren: Birgit Lohmeyer
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begrünte Innenhof ihrer Wohnanlage liegt menschenleer in der Morgendämmerung. Für Schulkinder ist es noch zu früh, die Schichtarbeiter der Werft sind schon fort. Und die Arbeitslosen haben keinen Anlass, so früh aufzustehen. Sie sprintet durch den Torweg hinaus auf die Straße. Wo hat sie geparkt? Sie stoppt abrupt und scannt die dichten Reihen abgestellter Autos, vor Anspannung verzieht sie ihr Gesicht zu einer Grimasse.
    Endlich entdeckt sie den alten Polo schräg gegenüber der Hotelanlage aus imitierten Schwedenblockhäusern. Es ist zwei Minuten vor sechs, als sie aus ihrem Wohnviertel auf die noch kaum befahrene Bürgermeister-Haupt-Straße einbiegt. Zehn Minuten später lenkt sie an der Autobahnauffahrt Wismar-Mitte den Polo in Richtung Rostock, der aufgehenden Sonne entgegen, deren Licht den Morgen in ein warmes Kupferbad taucht. Felder, Waldstücke und vereinzelte Gehöfte ziehen vorbei. Der Himmel ist weit und wolkenlos. Nach den ersten Kilometern entspannt sich Sonja ein wenig – wie stets auf der Autobahn.
    Der Nachrichtensprecher im Radio meldet sich um halb sieben. Sie hat gerade erst Neukloster passiert, braucht also bestimmt noch eine gute halbe Stunde. Verzweifelt tritt sie das Gaspedal durch, schert auf die Überholspur.
    Jetzt einen Kaffee!  Sonja blickt in den Fußraum der Beifahrerseite. Zerknüllte Brötchentüten, leere Chipspackungen, Werbeflyer, ein angebissener Apfel. Sie schnappt sich den Tetrapack, der auch dort liegt, schüttelt ihn prüfend. Den Blick wieder auf die Fahrbahn gerichtet, schraubt sie den Billigwein auf und trinkt die Packung mit wenigen Schlucken leer.
    Schwerfällig wälzen sich die Minuten dahin, während das schwarze Asphaltband unter ihr hinwegrollt. Die Äcker wirken noch winterlich trist, nur auf manchen wächst schon ein grüner Flaum. Die Rapsblüte wird erst in einigen Wochen einsetzen und der Landschaft bei schönem Wetter jenen gelb-grün-blauen Auftritt verschaffen, für den Mecklenburg bekannt ist. Sonja schwitzt, riecht den sauren Geruch, der unter ihren Achseln hervorquillt, hofft, dass das Deo im Handschuhfach noch da ist. Doch bei Tempo 140 behält sie die Hände lieber am Steuer.
    Die Autobahn füllt sich. LKW, Pendler, frühe Urlauber in Wohnmobilen mit fremden Kennzeichen. Sonja schlägt auf das Lenkrad, als so eine Rentnerkutsche kurz vor ihr im Schneckentempo zum Überholen ansetzt und sie zwingt, vom Gas zu gehen.  Es ist viel zu spät! Doch vielleicht verzögert sich die Prozedur dort ja ein wenig.  Mit zusammengepressten Lippen klammert sie sich an diese schwache Hoffnung.
    Als sie schließlich die Dummerstorfer Ausfahrt nimmt, hat der Nachrichtensprecher gerade wieder die aktuellen Meldungen verlesen – ohne dass Sonja eine davon wiederholen könnte. Sieben Uhr vier Minuten. Ihr Herz rast.  Warte auf mich,  beschwört sie ihn wortlos.  Ich bin sofort da.  Ein schmutzig-grauer Lieferwagen zockelt vor ihr über die Landstraße.  Das darf doch nicht wahr sein!  Rücksichtslos überholt sie in einer unübersichtlichen Kurve.
    Die Zufahrtsstraße macht einen sanften Bogen nach rechts und endet vor dem Stahltor mit der gläsernen Pförtnerloge. Es ist sieben Uhr vierzehn. Plötzlich ist sie siegesgewiss, stellt den Motor ab und kramt im Handschuhfach nach dem Deospray. Im Geist wiederholt sie die Begrüßungsworte, die sie sich zurechtgelegt hat für diesen wichtigen Moment, der den Charakter ihrer weiteren Beziehung bestimmen wird.  Schön, dich auf dieser Seite der Mauer zu treffen.  Dann wird sie ihn kurz am Oberarm berühren und ihm eine Zigarette anbieten.
    Zwei Minuten später ist alles vorbei.
    »Herr Sokop hat die Anstalt bereits verlassen.« Das bedauernde Lächeln des uniformierten Beamten hinter der Panzerglasscheibe mildert den Schlag nicht. Sonja treten Tränen in die Augen. Das Gesicht hinter Glas verschwimmt zu einer amorphen Masse hämischer Schadenfreude; das Lächeln ein Grinsen, gebleckte Zähne, geifernde Häme. Sie wendet sich grußlos ab, läuft zum Wagen. Auf der Rückfahrt rinnen ihr Tränen über die Wangen. Sie hat ihn verloren. Ausgeschlossen, dass er sich bei ihr meldet. Er ist so zurückhaltend, würde niemals den ersten Schritt machen. Und seine neue Adresse teilt ihr die Justizbehörde aus Datenschutzgründen mit Sicherheit nicht mit. Vergeblich hält sie am Rand der Landstraße nach einer großen hageren Gestalt Ausschau, hat dabei das honigsüße Timbre seiner Stimme im Ohr.
    Zurück in Wismar hat sie
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