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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Autoren: Carl Hanser Verlag
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unten ist es so gemütlich, dass sie nie mehr wagen, an den dünnen Haaren im Fell wieder nach oben zu klettern. Nur die Philosophen wagen sich auf die gefährliche Reise zu den äußersten Grenzen von Sprache und Dasein. Einige von ihnen gehen uns unterwegs verloren, aber andere klammern sich an den Kaninchenhaaren fest und rufen den Menschen zu, die tief unten im weichen Fell sitzen und sich mit Speis und Trank den Bauch voll schlagen.
    »Meine Damen und Herren«, rufen sie, »wir schweben im leeren Raum!«
    Aber keiner der Menschen unten im Fell interessiert sich für das Geschrei der Philosophen.
    »Himmel, was für Krachschläger«, sagen sie.
    Und dann reden sie weiter wie bisher: Kannst du mir mal die Butter geben? Wie hoch stehen heute die Aktien? Was kosten die Tomaten? Hast du gehört, dass Lady Di wieder schwanger sein soll?
    Als Sofies Mutter später an diesem Nachmittag nach Hause kam, lag die Dose mit den Briefen des geheimnisvollen Philosophen sicher versteckt in der Höhle. Sofie hatte versucht, sich an die Hausaufgaben zu setzen, zerbrach sich aber doch nur den Kopf über das, was sie gelesen hatte.
    So viel, worüber sie nie zuvor nachgedacht hatte! Sie war kein Kind mehr – aber auch noch keine richtige Erwachsene. Sofie sah ein, dass sie schon angefangen hatte, tief in den dichten Pelz des Kaninchens zu kriechen, das aus dem schwarzen Zylinder des Universums gezogen wurde. Aber jetzt hatte der Philosoph sie zurückgehalten. Er – oder war es eine Sie? – hatte sie fest am Nacken gepackt und sie wieder auf das Haar im Fell gezogen, auf dem sie als Kind gespielt hatte. Und dort draußen, auf der Spitze der dünnen Haare, hatte sie die Welt wieder gesehen wie beim allerersten Mal. Der Philosoph hatte sie gerettet.
    Sofie zog ihre Mutter ins Wohnzimmer und drückte sie in einen Sessel.
    »Mama – meinst du nicht, dass es seltsam ist, zu leben?« fing sie an.
    Die Mutter war so verblüfft, dass ihr keine Antwort einfiel. Sonst saß Sofie immer über ihren Hausaufgaben, wenn sie nach Hause kam.
    »Tja«, sagte sie. »Manchmal schon.«
    »Manchmal? Ich meine – findest du es nicht seltsam, dass es überhaupt eine Welt gibt?«
    »Aber Sofie, was redest du denn da?«
    »Ich frage dich was. Aber du findest die Welt wahrscheinlich ganz normal?«
    »Ja. Das ist sie doch auch. Meistens.«
    Sofie begriff, dass der Philosoph Recht hatte. Die Erwachsenen fanden die Welt selbstverständlich. Ein für alle Mal schliefen sie den Dornröschenschlaf des Alltagslebens.
    »Pah! Du hast dich nur so gut in der Welt eingelebt, dass sie dich nicht mehr überrascht«, sagte sie.
    »Entschuldige, aber ich verstehe kein Wort.«
    »Ich sage, du hast dich zu sehr an die Welt gewöhnt. Total bescheuert, mit anderen Worten.«
    »Also, so darfst du wirklich nicht mit mir reden, Sofie.«
    »Dann sage ich es eben anders. Du hast es dir unten im Fell eines Kaninchens, das gerade in diesem Augenblick aus dem schwarzen Zylinder des Universums gezogen wird, sehr gemütlich gemacht. Und jetzt wirst du bald die Kartoffeln aufsetzen. Und dann liest du die Zeitung und nach einem Nickerchen von einer halben Stunde siehst du dir die Fernsehnachrichten an.«
    Ein bekümmerter Ausdruck huschte über das Gesicht der Mutter. Sie ging wirklich in die Küche und setzte die Kartoffeln auf. Gleich darauf stand sie wieder im Wohnzimmer und nun drückte sie Sofie in einen Sessel.
    »Ich muss mit dir reden«, fing sie an. Sofie konnte ihrer Stimme anhören, dass es um etwas Ernstes ging.
    »Du hast doch wohl kein Rauschgift in die Finger bekommen, Kind?«
    Sofie musste einfach lachen, aber sie begriff ja, warum diese Frage ausgerechnet jetzt gestellt wurde.
    »Spinnst du?«, fragte sie. »Davon wird man ja bloß noch öder!«
    Mehr wurde an diesem Nachmittag über Rauschgift oder weiße Kaninchen nicht gesagt.

Die Mythen
    ... eine prekäre Machtbalance zwischen guten und bösen Kräften ...
    Am nächsten Morgen lag kein Brief im Briefkasten. Sofie langweilte sich durch einen langen Schultag hindurch. Sie gab sich Mühe, in den Pausen besonders nett zu Jorunn zu sein. Auf dem Heimweg schmiedeten sie Pläne für einen Zeltausflug, sowie es im Wald trocken wurde.
    Dann stand sie wieder vor dem Briefkasten. Als Erstes öffnete sie einen kleinen Briefumschlag, der in Mexiko abgestempelt war und eine Karte von ihrem Vater enthielt. Er schrieb von Heimweh und hatte den Ersten Steuermann zum ersten Mal im Schach besiegt. Ansonsten hatte er die zwanzig Kilo
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