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Social Netlove

Social Netlove

Titel: Social Netlove
Autoren: J Strack
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lange wie möglich hinauszögern, damit sie mich nicht als unzurechnungsfähig deklarieren und meine Vormundschaft übernehmen konnten – denn dazu wären sie durchaus fähig, um ihre einzige Tochter von der ‚aggressiven‘ Künstlerszene fernzuhalten. Dass ich nur eine einfache Angestellte war, hatte sie ja bereits ins ‚gesellschaftliche Abseits‘ gestützt (Zitat meiner Mutter!), ein kreativer Job im lauten London würde sie demnach wohl vollkommen fertig machen. Aber das war ihr Pech; dies war schließlich mein Leben.
    Ich legte noch einige Fotos und Postkarten in den Pappkarton, dann waren all meine persönlichen Dinge verstaut.
    »Neun Jahre verschwinden in fünf Minuten in einem Karton«, seufzte ich leise und blieb regungslos auf meinem alten Drehstuhl sitzen, während ich die Wanduhr über der Tür betrachtete.
    Würde Dr. Hagenborn es heute zu seinem Termin mit einem Lektor schaffen, den ich ihm vor eineinhalb Wochen auf halb neun gelegt hatte? Eigentlich hätte ich meinem Chef das Kündigungsschreiben genauso gut auf dem Schreibtisch hinterlassen können, doch aus irgendeinem Grund blieb ich wie festgeklebt auf meinem Platz sitzen. War das die Angst vor dem Neubeginn? Würde ich doch noch einen Rückzieher machen und die Kündigung zerreißen, um weitere zehn Jahre hinter diesem ächzenden Computer zu verbringen, mit meinen grimmigen Kollegen um mich herum?
    Um mich abzulenken, zog ich mein Handy aus der Tasche. Nichts. Am Wochenende hatte ich mehrmals versucht, Jake zu erreichen, doch lediglich seine Mailbox war angeschaltet gewesen. Auch über SMS oder Facebook hatte ich nichts erreichen können.
Kein Wunder
. Die Erkenntnis, dass meine Gefühle für Jake den Ärger und die Enttäuschung über seine falsche Identität überwogen, kam viel zu spät.
    Ich durfte nicht so schnell aufgeben.
Noch nicht
. Jake war immerhin ebenfalls hartnäckig gewesen. Nervös wählte ich seine Nummer in meiner Kontaktliste aus und drückte auf
anrufen
. Immerhin, die Leitung war frei.
    »Hello?«, meldete sich unvermittelt eine tiefe, britische Stimme.
    »Jake?« Es war das erste Mal, dass ich ihn am Telefon mit seinem richtigen Namen ansprach. Und es fühlte sich gut an.
    »Marie?«, fragte er zurück und klang furchtbar reserviert.
    »Ja, ich bin's«, krächzte ich. »Wie geht's dir?«
    »Sorry, aber ich habe gerade wirklich keine Zeit. Willst du etwas Bestimmtes?«
    »Ich …« Jakes Kühle trieb mir die Tränen in die Augen und ich schluckte schwer. »Ich wollte mit dir sprechen. Es tut mir leid, dass ich …«
    »Yeah, können wir das wann anders klären? Ich bin nämlich gerade am Flughafen, business, you know.«
    Business
. »Klar«, sagte ich mutlos. »Dann, also …. Viel Erfolg bei deinem Termin.«
    »Danke, den kann ich brauchen. Schwieriger Partner, sehr wankelmütig. Okay then, thanks for your call. Bye.«
    Noch bevor ich antworten konnte, hatte Jake aufgelegt.
Tja
, sagte eine besserwisserische Stimme aus meinem Herzen,
hättest du doch eher auf mich gehört. Nun ist es zu spät!
    In diesem Moment klickte das Türschloss und ich hörte Schritte, die in Richtung meines Büros kamen. Schnell wischte ich mir mit dem Ärmel meines Blazers über die feuchten Augen und warf mein Handy in den Pappkarton.
    »Marie!«, rief Katja erstaunt. »Warum sitzt du denn hier im Dunkeln?« Sie marschierte in Richtung Fenster, dessen Vorhänge sie beherzt zurückzog und damit die strahlende Morgensonne hineinließ.
    »Bist du gerade erst gekommen oder ist das Ding kaputt?«, fragte sie und deutete auf meinen ausgeschalteten PC.
    »Weder noch.«
    »Oh«, antwortete Katja. Unvermittelt fiel ihr Blick auf die Pappkiste neben meinem Schreibtisch. »Du gehst?«
    Ich hatte damit gerechnet, dass Katja hämisch grinsen und sich die Fäuste reiben würde, doch stattdessen klang ihre Stimme betroffen. »Ist es wegen der Sache von neulich? Ich kann dir sagen, das war vielleicht asozial von Franziska. Freunde hat sie sich damit nicht gemacht, das steht fest. Wobei hier ja ohnehin niemand mit irgendwem befreundet ist.« Sie verzog ihren Mund – und lächelte.
Unfassbar!
Katja lächelte mich an?
    »Ich habe mich oft gefragt, warum du bis heute hiergeblieben bist. Ich meine, Clipping-Service … Einer jungen Frau wie dir stehen doch so viele erfüllendere Möglichkeiten offen.«
    »Ach, und um mir das vor Augen zu führen, hast du mich jahrelang unfreundlich herumkommandiert?«, fragte ich spitz und voll Mut, mich endlich gegen sie
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