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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Autoren: Melda Akbas
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sie selbst so verinnerlicht hat, dass einem das Problem
gar nicht mehr so überwältigend oder niederschmetternd oder deprimierend erscheint. An der Innenseite der Schranktür hängt eine kleine Liste solcher Weisheiten. Die sind mir irgendwann mal in den Sinn gekommen. Obwohl, Weisheiten? Es sind wohl eher meine ganz persönlichen Leitsätze. Ich glaube, heute halte ich mich gleich an den, der auf dem Zettel ganz oben steht:
    Weine nicht, es kann nur besser werden!
    Soll ich die anderen Sprüche auch verraten?
    Vertraue dir selbst!
    Habe Mut!
    Sei stolz auf das, was du bisher geschafft hast!
    Hüpfe und genieße!
    Greif nach deinen Träumen!
    Ich schaff das mit rechts und du mit links! (Das sagte Helina mal zu mir, sie ist eine gute Freundin, ihre Eltern stammen aus Afghanistan.)
    Stecke voller Überraschungen!
    Tu, was du willst, und nimm, was du brauchst!
    Think Pink!
    Vergiss dich nicht und denk daran: Familie ist Reichtum!
    Ich will dich lächeln sehen!
    Gib niemals auf!
    Jeder in unserer Familie hat seinen speziellen Lieblingsbereich in der Wohnung. Babas ist ganz klar das Wohnzimmer. Unsere braune Ledercouch könnte man getrost als seinen Thron bezeichnen. Baba ist Kellner in einem türkischen Restaurant, er arbeitet ziemlich viel, aber wenn er zu Hause ist und nicht schläft, findet man ihn dort. Das ergibt auch Sinn, denn er hat zwei Lieblingsbeschäftigungen:
fernsehen und rauchen. Am liebsten guckt er Kurtlar Vadisi (»Tal der Wölfe«), eine Serie über türkische Geheimdienstleute, die gefährliche Ganoven jagen, in der pro Folge schätzungsweise vierzig bis siebzig Menschen erschossen, erwürgt, erstochen, in die Luft gesprengt oder auf eine andere Weise ins Jenseits befördert werden. Aber die Serie läuft nicht mehr. Sonst steht bei ihm noch Fußball hoch im Kurs. Entweder sieht er sich Spiele an oder irgendwelche Diskussionen darüber, die meistens noch länger dauern. Baba ist Fan von Galatasaray und hat sich extra einen Receiver zugelegt, um den Vereinssender empfangen zu können. Ich weiß nicht, was die den ganzen Tag bringen, aber irgendwie läuft immer was.
    Vor zwei Tagen war mein Onkel Cemal zu Besuch. Baba und er sahen sich das Spiel Galatasaray gegen Fenerbahçe an. Da Onkel Cemal für Fenerbahçe ist, konnte er nach dem Schlusspfiff jubeln. Baba dagegen kochte vor Wut. Er schaltete sofort auf einen anderen Kanal und wechselte kein Wort mehr mit seinem Schwager. Das gibt sich aber wieder.
    Wahrscheinlich ärgerte er sich noch ein bisschen mehr als sonst, wenn seine Mannschaft verliert, weil er seit Neuestem seinen Frust nicht mehr mit einer Zigarette abreagieren darf. Jedenfalls nicht im Wohnzimmer, und da steht nun mal der Fernseher. Meine Mutter - die ich meistens Anne nenne, das ist das türkische Wort für »Mama«, es wird auf dem »e« betont - war in der Türkei und hat neue Gardinen mitgebracht, die jetzt im Wohnzimmer hängen. Damit die nicht gleich wieder vergilben, hat sie das Zimmer zur nikotinfreien Zone erklärt. Mich wundert, dass Baba einfach gehorcht, doch er tut es komischerweise.
Ich könnte an dieser Stelle etwas über die merkwürdigen Machtverhältnisse innerhalb unserer Familie erzählen, über Schein und Sein, wenn man so will. Dafür ist es aber noch zu früh, das kommt später dran. Auf jeden Fall raucht Baba seitdem nur noch auf dem Balkon oder in der Küche.
    Dabei ist die Küche eigentlich Annes Revier. Das bedeutet aber nicht, dass wir anderen sie nicht betreten dürften. Es ist so ähnlich wie bei Baba und dem Wohnzimmer: Anne geht auch arbeiten, eigentlich ist sie Erzieherin, aber seit einigen Jahren kümmert sie sich in einem islamischen Kindergarten um alles Organisatorische und den ganzen Verwaltungskram. Trotzdem versorgt sie uns natürlich, kauft nach der Arbeit ein und verbringt den Rest des Tages in der Küche. Dreimal die Woche kocht sie, jedes Mal gleich so viele Portionen, dass sie für uns alle zwei bis drei Tage reichen. Natürlich türkische Gerichte, Karnıyarık zum Beispiel, mit Hackfleisch gefüllte Auberginen, oder Yoğurtlu Çorba , eine Joghurtsuppe mit Fleischbrühe, aber meistens etwas mit richtigem Fleisch, weil Tayfun am liebsten Fleischgerichte isst. Abends, wenn sie mit allem fertig ist, dringt sie in Babas Revier ein, setzt sich zu ihm auf die Couch. Diesen Platz scheint sie sehr zu mögen, denn an Babas Seite lässt sie sogar Fußballübertragungen über sich ergehen, für die sie sich eigentlich nicht die Bohne interessiert. Es
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