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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Autoren: Melda Akbas
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Nummer eins war der, den ich liebte. Mit ihm hat es nicht so richtig geklappt. Leider. Und dann zog er zum Studium nach Passau. Trotzdem hing ich noch sehr an ihm, fast zwei Jahre lang. Bis eine Freundin meinte, das sei nur so, weil ich mich auf keinen anderen einließe. Also ließ ich mich auf einen anderen ein. Das war Nummer zwei, überaus liebevoll, zuvorkommend, er schenkte mir Geborgenheit. Doch nach einer Weile begriff ich, dass ich nicht nur Geborgenheit brauchte, sondern jemanden, der mich forderte und mit dem ich am besten jeden Tag ein neues Abenteuer erleben konnte. So einer ist mir allerdings noch nicht über den Weg gelaufen. Nummer drei war es definitiv auch nicht. Den zähle ich eher zur Kategorie Unfall - eine Party, der Alkohol war schuld.
    Um meine amourösen Ausschweifungen ins rechte Licht zu rücken: Sie waren alle absolut harmlos. Nur Küsse! Niemals würde ich mit irgendeinem Typen einfach so ins Bett steigen. Religion hin oder her - ich wäre mir einfach zu schade dafür. Sollte jedoch eines Tages plötzlich Mister Right auftauchen … Was soll ich sagen? Ich bin achtzehn und halte mich für eine moderne aufgeklärte Frau. Und wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Zur Liebe
gehören nicht nur Küsse, und Liebe fängt lange vor der Hochzeit an, das ist nun mal so.
    Meinen Eltern erzähle ich wohl besser nichts von diesen Regeln. Das würde sie nur aufregen oder traurig stimmen oder beides, weil sie von ihrer Tochter unendlich enttäuscht wären.
     
    Jedenfalls war es eine gute Entscheidung, vor Baba erst mal in mein Zimmer zu flüchten. Hier habe ich mir eine kleine Ecke geschaffen, in der ich mich von allem - und allen - abschirmen kann. Gäbe es diese Ecke nicht, ich würde manches Mal durchdrehen. Bei allem Familiensinn, den ich durchaus habe - braucht nicht jeder hin und wieder einen Ort, an dem er ganz allein sein kann?
    Meine Ecke ist wie eine Oase im alltäglichen Familiengewusel. Natürlich hätte ich am liebsten das ganze Zimmer für mich. Wenn es da nicht meinen Bruder Tayfun gäbe, dem steht nämlich die Hälfte davon zu. So haben es meine Eltern festgelegt, als wir hier einzogen. Damals war ich vier und konnte nichts dagegen einwenden. Zumal der Umzug ein echter Fortschritt für unsere Familie war. Vorher hatten wir in einer Zweizimmerwohnung gelebt, in der es neben Küche und Bad ein kleines Wohnzimmer gab und dann noch ein Zimmer, das nachts Schlafzimmer für uns alle war und tagsüber Tayfun und mir als Kinderzimmer diente. In der Wohnung hier haben unsere Eltern ihr eigenes Schlafzimmer. Ich weiß nicht, ob sie damals, beim Umzug, davon ausgingen, dass mein Bruder selbst mit dreiundzwanzig Jahren noch keine Anstalten machen würde, sich eine eigene Bude zu suchen. Ich finde ja, es wird höchste Zeit für ihn. Aber er findet anscheinend, es ist äußerst bequem
so, im Hotel Mama. Warum wundert mich das nicht? Tayfun macht gerade eine Ausbildung zum Kaufmann, rechnen kann er.
    Aber ich wollte von meiner Oase erzählen: Das Zimmer, das ich mir mit Tayfun teile, ist nicht besonders groß, eher sogar ziemlich klein. Man kann sagen, jeder Quadratzentimeter wird voll ausgenutzt, zwangsläufig. Zwei Bücherregale trennen Tayfuns Bereich von meinem. Gleich dahinter steht mein Bett. An der Wand gegenüber ist gerade noch Platz für einen schmalen Schreibtisch - darüber ein Bücherbord - und einen Kleiderschrank. Und jetzt kommt der Trick: Wenn ich die Schranktür öffne, ist es fast so, als würde ich eine Zimmertür schließen, dann bin ich ganz für mich. Sicher auch irgendwie eine Kopfgeschichte. Hauptsache, es funktioniert, sogar wenn Tayfun in seinem Teil des Zimmers hockt, nur einen Hauch entfernt.
    In der Ecke ist es ein bisschen eng, sitzen kann ich ganz bequem, aufstehen wird schwieriger. Deshalb habe ich alles, was ich hier brauche, in Griffnähe deponiert: einen kleinen Kuscheltierhund, ein Kissen, Stifte, mein Tagebuch. Ich schreibe nicht jedes Mal etwas hinein, wenn ich mich hierhin verdrücke. Nur wenn meine Gedanken einigermaßen klar sind. Manchmal hocke ich auch einfach nur da, hoffe wie jetzt nach dem Theater mit Baba, dass meine Wut verraucht, oder ich grüble über irgendwas nach. Oder ich heule. Aber das kommt nicht mehr so häufig vor. Man lernt ja dazu. Zum Beispiel, dass es hilft, sich für den Notfall ein paar kluge Sätze zurechtzulegen, die man sich dann immer wieder sagt, still im Kopf wiederholt, als würde man ein Gedicht auswendig lernen. Bis man
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