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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
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einatmeten. Eine Frau schlitzte sich fröhlich die Pulsadern auf: Die Klinge glitt durch ihr Fleisch, als wäre es Butter, und ich sah, wie das Blut auf den Tisch spritzte. Einer nach dem anderen sackte vornüber. Ich sprang abrupt auf und wollte weglaufen, doch an den verschlossenen Türen lehnten die weiß gekleideten, noch immer lächelnden Diener. Schlagartig wurde mir klar, dass es kein Entkommen gab. Und dann begann ich zu schreien.
    Im ersten Moment erkannte ich Joe nicht, sein dunkles Gesicht, den kahlen Kopf. Da war nur irgendjemand, ein Fremder, der mich in den Armen hielt und immer wieder sagte: »Hey, hey, Lol. Alles in Ordnung, Liebes. Es war nur ein Traum.«
    Lol? Lorrie? Das war ich. Ja, ich war hier, zu Hause, in meinem Bett. Ich blinzelte. Meine Augen fühlten sich ebenso trocken an wie meine Kehle. Ich brauchte dringend frische Luft. Ich wand mich aus seiner Umarmung, sprang aus dem Bett, riss das Fenster auf und sog die kühle Westlondoner Luft tief in meine Lungen. Aus der Ferne drang das Heulen einer Sirene an meine Ohren.
    Joe knipste die Nachttischlampe an und warf einen Blick auf den Wecker, dann stand er auf und ging nach unten. Ich hörte ein leises Rasseln und sah, wie Tilly, unsere Hündin, schläfrig und leicht verdutzt über die Holzdielen trottete. Vorsichtig wedelte sie mit dem Schwanz, für den Fall, dass vielleicht ein nächtliches Abenteuer anstand.
    Ich machte das Licht wieder aus, fegte meine Sachen vom Korbstuhl und zog ihn zum Fenster. Tilly legte den Kopf in meinen Schoß. Ich strich ihr über die glatten Schläfen und atmete tief und langsam ein und aus. Ich warf einen Blick auf meine Hände. Sie waren wund und zerkratzt. Das war mir seit einer Ewigkeit nicht mehr passiert. O nein, ich würde mir Schlaftabletten verschreiben lassen müssen. Ich schob Tilly weg, lehnte mich aufs Fensterbrett und sah hinaus auf die im orangefarbenen Zwielicht liegende Straße.
    Ein Fuchs flitzte über den Asphalt und verschwand hinter einer Mülltonne.
    Joe kam wieder herein und stellte eine Tasse Tee aufs Fensterbrett.
    »Danke«, sagte ich. Meine Stimme klang schwach.
    Ich sah zu ihm auf – er war nackt, und seine dunkle Haut schimmerte wie Kupfer im Licht der Straßenlaterne –, brachte es jedoch nicht über mich, seinem Blick zu begegnen. Er fröstelte und nahm einen Morgenmantel vom Haken an der Tür, ehe er sich hinter mir auf die Bettkante setzte. Tilly hatte sich inzwischen unter die Bettdecke verkrochen. Eine ganze Weile saßen wir nur da und tranken schweigend unseren Tee. Ich blickte hinaus auf die Autos am Straßenrand.
    »Was war los, Lorrie?«, fragte er leise. »Du hast mir echt Angst eingejagt.«
    Ich nahm noch einen Schluck Tee, ohne mich zu ihm umzuwenden.
    »Ehrlich«, sagte er. »Mir ist es eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Du hast die Augen ganz weit aufgerissen vor Angst, und ich musste dir eine Ohrfeige geben. Du meine Güte, was hast du geträumt?«
    Ich pustete über meinen Tee.
    »Jetzt sag schon, Liebling.«
    »Oh«, erwiderte ich, während ich weiter Ausschau nach dem Fuchs hielt. »Ich weiß es nicht mehr.«
    Er schwieg einen Moment, ging zu seiner Hose und kramte in den Taschen herum. Dann zündete er sich eine Zigarette an, öffnete den anderen Fensterflügel, stützte sich aufs Fensterbrett und blies den Rauch hinaus in die Nacht. Irgendwo am Ende der Harrow Road ging ein Alarm los.
    »Jetzt rück schon raus damit, Lorrie«, sagte er mit leiser, ernster Stimme.
    Ich schwieg.
    »Du machst es einem echt schwer.«
    »Was denn?«, gab ich zurück, trotzig und aggressiv zugleich. Ich konnte einfach nicht aus meiner Haut. Ein klassischer Fall von schlechtem Gewissen.
    »Dich zu lieben.«
    Wortlos starrte ich in meinen Tee.
    »Wenn du mich weiter so aus deinem Leben ausschließt, bin ich irgendwann weg, Lorrie. Ich ertrage das einfach nicht.«
    Ich verspürte Panik und zugleich Erleichterung, sagte jedoch nach wie vor nichts.
    »Was ist bloß mit dir los?«, fuhr er fort, aber es klang nicht vorwurfsvoll, sondern eher so, als würde er Selbstgespräche führen.
    »Was willst du?« Meine Stimme klang so kalt wie der Wind, der von draußen hereinwehte. Im Schach gilt die Devise, nicht aufzugeben, sondern anzugreifen, wenn man in die Ecke gedrängt wird. Ich nahm seine Zigaretten, steckte mir selbst eine an und warf ihm einen Blick zu. Er war wütend.
    »Warum lügst du mich an? Genau wie gestern, als du erzählt hast, du würdest die Frau auf der Farm nicht kennen.
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