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Snuff: Roman (German Edition)

Snuff: Roman (German Edition)

Titel: Snuff: Roman (German Edition)
Autoren: Chuck Palahniuk
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    Die Assistentin sammelt leere Chipstüten ein, knüllt sie zusammen und stopft sie in einen schwarzen Müllsack. Sie sagt: »Die meisten Zyankalivergiftungen kommen transdermal zustande.« Sie sieht Nummer 72 an und fragt: »Wie fühlst du dich?«
    Angeschlagen? Hörverlust? Schwächegefühl in den Händen? Schweißausbrüche, Benommenheit, Beklemmung?
    Zyankali war das Mittel, mit dem 1978 in Jonestown neunhundert Leute gemeinsam Selbstmord begingen. Zyankali tötete Millionen in den Konzentrationslagern der Nazis. Es tötete Hitler und seine Frau Eva Braun. Zur Zeit des Kalten Kriegs in den 1950er Jahren gehörten für amerikanische Spione Brillen mit dicken klobigen Gestellen zur Grundausstattung. Im Fall ihrer Gefangennahme sollten sie unauffällig an den Ohrbügeln knabbern, in die tödliche Dosen Zyankali eingearbeitet waren. Eben diese Selbstmordbrillen mit Horngestell, sagt die Assistentin, sind für den Look von Buddy Holly und Elvis Costello verantwortlich. Alle diese coolen jungen Burschen tragen den Tod auf ihrer Nase.
    Als die Assistentin »Jonestown« sagt, sehen der Schauspieler und ich nach der halb leeren Punschschüssel mit rosa Limonade, in der Zigarettenstummel und Orangenschalen schwimmen.
    Wegen meiner neuen Reality-Show mit Cassie frage ich, ob wir die nicht Under-Cover Coupling nennen könnten. Ich frage: Oder klingt das zu gewagt fürs Fernsehen?
    Und Nummer 72 sagt: »Was ist trans...«
    »Transdermal«, sagt die Assistentin, »durch die Haut.«
    Die Assistentin wischt mit der Handkante Krümel zusammen, räumt die Büffets ab und sagt, die meisten Zyankalivergiftungen kommen durch die Haut zustande. Zu dem jungen Schauspieler sagt sie: »Riech mal an deiner Hand.«
    Der Junge hält sich eine Hand vor die Nase und schnüffelt.
    »Nein«, sagt die Assistentin, »riech an der Hand, in der du die Pille gehalten hast.«
    Der Schauspieler schnüffelt an der anderen Hand, schnüffelt noch einmal und sagt: »Mandeln?«
    Der bittere Mandelgeruch kommt daher, dass das Zyankali in der Pille mit der Feuchtigkeit seiner Hand reagiert, wobei Zyanwasserstoff entsteht. Schon sickert das Gift in sein Blut.
    »Dann geh ich mir die Hände waschen«, sagt der Schauspieler.
    Und die Assistentin schüttelt den Kopf und sagt, das ist nicht der einzige Körperteil, den die Pille berührt hat. Nicht die einzige verschwitzte Stelle mit besonders vielen Poren und Nervenenden.
    Wegen meiner zukünftigen Reality-Show mit meiner zukünftigen, vielleicht toten Frau frage ich, ob wir das nicht Mrs. Curves and the Flat Foot nennen können.
    Nummer 72 senkt das Kinn auf die Brust, starrt an sich herunter und sagt: »Ausgeschlossen.«
    Die Assistentin wischt mit einer Handvoll Servietten eine Limopfütze auf.
    Die Assistentin sammelt unbenutzte Kondome ein, rote, rosa und blaue Kondome, und wirft sie in eine leere Popcorntüte.
    Nummer 72 schnüffelt noch einmal an seiner Hand, dann beugt er sich vor. Mit der anderen Hand zieht er den Bund seiner Shorts weit nach vorn. Tief gebückt, sein Rückgrat eine Kurve aus Knoten unter seiner Haut, zieht er Luft durch die Nase ein. Er bückt sich noch einmal und schnüffelt lange. Dann richtet er sich auf und sagt: »Ich komme nicht nah genug ran.«
    Zu mir sagt er: »Kannst mir einen Gefallen tun?« Er sagt: »Mal an meinen Eiern riechen?«
    Die Assistentin schaufelt verschüttete Bonbons und Popcorn und Kaugummikugeln zusammen, die lose auf den Büffettischen herumrollen.
    »Bitte«, sagt Nummer 72, »es geht um mein Leben.«
    Hab ich’s nicht gesagt? So was passiert mir natürlich erst, nachdem ich herausgefunden habe, dass ich heterosexuell bin.
    Falls der junge Mann Zuckerzeug gegessen habe, sagt die Assistentin, sei das wahrscheinlich der Grund, warum er überhaupt noch lebe. Glukose ist ein natürliches Gegenmittel gegen eine Zyankalivergiftung. Wie einzelne Forscher berichten, scheinen Verbindungen aus Glukose und Zyankali weniger toxisch zu sein.
    Nummer 72 kommt zum Büffet gerannt, dorthin, wo ich mich immer noch mit einer Hand an der Tischkante festhalte. Mit fliegenden Fingern sammelt er die übrig gebliebenen Zitronendrops und Smarties ein, Mars und Twix, und stopft sich alles auf einmal in den Mund. Er schiebt rote Lakritzstangen und Gummibärchen nach und kaut und kaut, aus seinem Mund quellen Speichel und Zucker, und er dreht sich zu mir um und sagt: »Bitte.« Er mampft After Eight und Sahnetrüffel und sagt: »Riech einfach mal an mir, okay?«
    Die Assistentin
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