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Snow Angel

Snow Angel

Titel: Snow Angel
Autoren: Izabelle Jardin
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ihr zu verzichten, musste sie erst begreifen lernen. Seit sie ihn aus seinem selbst errichteten Kerker zurück ans Licht geholt hat, scheint er einen nie abflauenden Nachholbedarf, einen unstillbaren Hunger in dieser Hinsicht zu verspüren. Für jeden glücklichen, verzweifelten, überanstrengten, traurigen oder ausgelassenen Moment, jede extreme Stresssituation kennt er eine andere Farbe des Liebesspieles. 
    Nie hätte sie es zum Beispiel für möglich gehalten, dass er irgendein Verlangen nach ihr verspüren könnte, als die Wirklichkeit seine Befürchtungen um Laura eingeholt hatte. Es schien ein Ausdruck von Trotz und Lebenshunger, von Bewältigung der unendlichen Traurigkeit gewesen zu sein. Sanft und zärtlich, aber doch ohne ihr ausdrücklich geäußertes Gefühl von Unangemessenheit zuzulassen, hatte er damals alle Vorbehalte beiseite gewischt. Und zu Ninas Erstaunen tat es ihnen beiden gut.
    Sie hat seine Art, sich jederzeit von ihr zu nehmen, was ihm gerade passt, mittlerweile einfach akzeptiert. Und sie liebt ihn umso mehr für seinen selbstverständlichen, keine Widerrede duldenden Umgang mit diesem Aspekt in ihrer Beziehung, denn niemals ist er rücksichtslos oder egoistisch. Die ganze Bandbreite positiver Empfindungen überschwemmt ihr Denken und hüllt es in warme, aufregende, überraschende oder entspannende Erinnerungen wie in einen prächtigen, vielseitigen Mantel.
     
    Es hat ihr Spaß gemacht, seine Wirkung auf andere Menschen zu beobachten. Während der Osterferien hat sie ihn in der Praxis begleitet, wollte einen Eindruck von seiner Arbeit bekommen. Dass die beiden Helferinnen ihn geradezu vergöttern, war unübersehbar. Sie schienen sich im ständigen Wettstreit um seine Gunst zu befinden und hatten Nina anfangs sehr misstrauisch beäugt. Unmissverständlich hatte Simon ihre Position allerdings definiert, indem er sie als „seine Frau“ vorstellte. Den Zweien war zwar ein bisschen die Kinnlade heruntergefallen, denn keine hatte damit gerechnet, den Chef so schnell, gleich am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub, vergeben zu sehen, aber sie mussten es doch zähneknirschend akzeptieren. Es schien so, als wüssten sie sehr genau, wie sie sich besser nicht benehmen sollten, wenn ihnen ihr Job lieb war. Und der war ihnen offenbar so lieb, dass sie zwar beide enttäuscht wirkten, sich ihr gegenüber aber vorbildlich verhielten. Es ist Nina sogar gelungen, mittlerweile ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihnen aufzubauen. Keine Frage: Wenn sie ihn schon nicht „haben“ konnten, wollten sie wenigstens nicht ganz auf seine Nähe verzichten müssen. Ähnliche Wirkung seines Charmes konnte sie bei den Besitzern seiner kleinen und großen Patienten beobachten.
    Verstohlen sieht sie ihn von der Seite an. Er bemerkt es nicht, ist gerade damit beschäftigt, den Jeep durch eine enge Baustelle zu lavieren. Die Erkenntnis darüber, welche äußerst attraktiven Bewerberinnen um seine Gunst sie alle aus dem Feld geschlagen hat, gibt ihr ein Gefühl, das irgendwo zwischen Triumph und purem Glück liegt. Lächelnd schließt sie die Augen wieder und gibt sich für die kurze Zeit, die sie noch unterwegs sein werden, noch einmal ihren Erinnerungen hin.
    Der genauere Blick auf seine Arbeit hat Nina ihre Studienpläne ändern lassen. Es ist das letzte Drama zwischen ihm und ihrem Vater gewesen, als klar wurde, dass sie nicht die Apotheke übernehmen würde. Sie ist froh, dass sie ihre Entscheidung so bewusst treffen konnte. Simon hatte sie zwei Wochen lang durch den ganz normalen Alltag eines Praktikers mitgeschleppt. Und er hatte sie nicht geschont. 
    Sie stand neben ihm, wenn er Kater kastrierte und Mutterstuten auf Trächtigkeit kontrollierte, durfte manche Handreichung machen, wenn er untersuchte, Wunden versorgte, impfte, hatte ihm bei der Laborarbeit über die Schulter gesehen. Und er hatte ihr auch die traurigen Momente nicht erspart, in denen klar war, dass jede Hilfe zu spät kam. 
    Am Ostersonntag war sie mit ihm zur Geburt eines Kalbes auf einen Biohof hinausgefahren. Das Kalb steckte so unglücklich in den Geburtswegen fest, dass die Bauern es schon aufgegeben hatten. Als Simon eine lange Zeit an der vor Schmerz brüllenden Kuh gearbeitet hatte, endlich die Ketten richtig positioniert waren und er den Miniaturbullen doch noch lebend zur Welt brachte, empfand sie zum ersten Mal dieses überwältigende Glücksgefühl. Das Glücksgefühl, das sie fortan für die Essenz der Entscheidung hält, einen
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