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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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zusammengefunden hatten.

    |193|  Eine britische Patrouille in der von Luftangriffen der RAF zerstörten Stadt Augusta, 15.   7.   1943.

    |194|  1964: Straßenszene in Palermo.
    |195| Dieser Vormachtstellung hatte die Linke durch Spaltungen und persönliche Rivalitäten aktiv entgegengearbeitet. Im Gegensatz dazu hatten die konservativen Kräfte in der „Democrazia Cristiana“ ein den sizilianischen Organisationsformen und Mentalitäten perfekt entsprechendes Sammelbecken gefunden. In dieser „Partei“ waren verschiedene Netzwerke einflussreicher lokaler Persönlichkeiten weitgehend horizontal zusammengeschlossen, was zur Folge hatte, dass Führungsansprüche stets neu ausgehandelt werden mussten – ein System des „do ut des“, des Gebens und Nehmens, das es in geradezu idealer Weise gestattete, die Interessen von Gefolgsleuten zu berücksichtigen, und damit den Abgeordneten eine starke Hausmacht garantierte. Die enge Verflechtung von sozialer Autorität, wirtschaftlichem Gewicht und politischer Macht zeitigte vielfältige Folgen. Zum einen wucherte die Bürokratie schlichtweg unkontrollierbar; der Wildwuchs der Ämter mit seinen Begleiterscheinungen klientelärer Handverlesung, Inkompetenz, Überschneidung von Zuständigkeiten und Überreglementierung wiederum lähmte zum anderen Initiativen und förderte darüber hinaus eine noch innigere Verschränkung sozialer und politischer Führungsgruppen. Erfolge ungeahnten Ausmaßes feierten Politiker aus dem Süden oder auch nur mit dem Rückhalt des Südens jetzt auch auf nationaler Ebene. Leadergestalten wie der aus der Toskana stammende Amintore Fanfani eroberten in Rom Ministerposten und wurden sogar selbst mehrfach Ministerpräsident. Um ihre Stellung zu festigen, bauten sie in der Hauptstadt eine Hausmacht aus sizilianischen Gefolgsleuten aus, die es ihnen gestattete, auf der Insel selbst nach und nach alle Schlüsselpositionen mit verlässlichen Anhängern zu besetzen. Neu daran war vor allem die Propaganda: Die Hegemonie der Democrazia Cristiana wurde als Triumph zeitgemäßer Demokratie präsentiert, durch den Sizilien endlich Anschluss an so moderne Länder wie die Vereinigten Staaten oder die Bundesrepublik Deutschland gefunden habe.
    Viel effizienter als alle anderen Sektoren entwickelte sich die Schattenwirtschaft. Hundert Jahre nach dem Anschluss an Italien stieß die traditionelle ländliche Mafia an Profitgrenzen. Abgaben von Wein- und Zitronenbauern zu erpressen erbrachte weiterhin solide, doch im Vergleich zu neueren Zweigen krimineller Betätigung bescheidene Gewinnmargen. Die Zukunft aber gehörte dem Waffen- und Drogenhandel. Vor allem der Letztere wurde ab den 1970er Jahren zu einer Quelle ungeahnten Reichtums – und blutiger Konflikte zwischen |196| den rivalisierenden Familien der Mafia. Deren Führer waren zwar offiziell zur Fahndung ausgeschrieben, blieben aber, wie schon der 1950 unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommene Giuliano, de facto meist unbehelligt. Um die ungeheuren Gewinne aus dem Drogengeschäft kam es in den 1980er Jahren zu einem Machtkampf zwischen „Palermitanern“ und „Corleonesen“, den die Letzteren nach zahlreichen Opfern auf beiden Seiten schließlich für sich entscheiden konnten. In diesen mit exzessiver Grausamkeit geführten Auseinandersetzungen lösten sich zugleich die Regeln des alten Ehrenkodex zunehmend auf – Frauen wurden nicht mehr verschont, und auch das Gesetz der
omertà
galt nicht mehr uneingeschränkt. Sogenannte
pentiti
(wörtlich: Reuige), von ihrer Führung abgefallene Ex-Mafiosi, zeigten sich gegen Strafnachlass zu Geständnissen bereit, die die erschreckende Innenwelt des organisierten Verbrechens offenbarten. Die daraufhin gegen die
pezzi grossi
, die Bosse angestrengten „Maxi-Prozesse“ weckten kurzfristig in ganz Italien die Hoffnung, des beunruhigenden Phänomens Mafia endlich Herr zu werden, verliefen jedoch ungeachtet einiger spektakulärer Verurteilungen letztlich im Sande. Ihr ungebrochenes Zerstörungspotential stellte die Mafia unter Beweis, als sie im Mai und Juli 1992 mit Giovanni Falcone und Paolo Borsellino die Staatsdiener ermordete, die ihr so wie der schon 1982 getötete General Carlo Alberto dalla Chiesa am entschlossensten den Kampf angesagt hatten.
    Diese Attentate hatten unerwartet heftige Reaktionen zur Folge. Nicht nur linke Intellektuelle, sondern breite Kreise forderten einen moralischen und politischen Neuanfang auf der Insel. Die Zeit dafür
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