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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Autoren: Alexandra Tobor
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Schule ein silbernes Tütchen mit, auf dem eine wunderschöne, frisch halbierte Orange abgebildet war. »Capri Sonne« stand oben drauf.
    »Was gibst du mir dafür?«
    Sie bekam mein Plastikarmband vom Kirchweihfest. Für die goldene Tüte mit dem gelben Bären namens HARIBO steckte ich ihr unter dem Pult einen chinesischen Bleistift mit verzehrfertigem Radiergummi zu.
    Am folgenden Tag hatte ich ein Briefmarkenalbum von Opa Adelbert im Tornister. Aneta war mit einer lila Schokoladenverpackung gekommen und mit dem Tausch einverstanden.
    »Für drei Briefmarkenalben bekommst du eine Cola-Dose«, versprach sie. Ich musste nicht lange überlegen. Opa Adelbert war schon so lange tot, er hatte die Briefmarkensammlung, die sich Album auf Album im Keller türmte, sicher längst vergessen.
    Nach und nach füllte sich mein Versteck in der Lok mit farbenfrohen Tütchen, Folien und Papieren, an denen der süße Duft von BRD klebte, dem Ort, der tatsächlich existierte.

4.
Aufbruch
    Der goldene Herbst wehte herein. Die Störche zogen in die warmen Länder, und auch für mich war es Zeit geworden, die heimischen Gefilde zu verlassen. Aus Omas Schublade stahl ich ein großes weißes Taschentuch mit Spitzenborte. Das Erste, was ich hineinlegte, waren zwei Kartoffeln und eine Schachtel Streichhölzer, damit ich unterwegs ein Feuerchen machen konnte. Dann die Cola-Dose. Wenn in BRD , wie Aneta versicherte, wirklich jeder seine eigene Cola-Dose hatte, würde auch ich eine brauchen. Und schließlich das Wichtigste: die Papiere. Ich riss einige Seiten aus dem Goldenen Buch heraus, rollte sie und band sie mit einem Stück Faden aus meinem Rock zusammen. Das fertige Wanderbündel knotete ich um einen zerbrochenen Besenstiel, den ich hinter dem Hühnerstall gefunden hatte. Ich machte einige Probeschritte in dem engen Waggon. Mit einem Stock auf der Schulter ging es sich mühsamer als in Omas Stöckelschuhen, aber das würde mich nicht von meinem Plan abhalten. BRD , das Land, wo Gummibärchen an Sträuchern wuchsen und die Straßen mit weißer Schokolade gepflastert waren, wartete darauf, von mir entdeckt zu werden.
    Am nächsten Morgen ging ich nicht in die Schule, sondern kletterte in die Lokomotive und wartete ab, bis alle Kinder mit ihren rappelnden Tornistern vorbeigezogen waren. Im Fensterrahmen saß eine Meise und glättete sich mit dem Schnabel die Federn, und auch ich hatte mich schick gemacht. Eine Kette und ein Armband aus getrockneten Vogelbeeren schmückten mich für den feierlichen Einzug in BRD . Mein Schulbrot aß ich schon in der Lokomotive, um mich für den Aufbruch zu stärken. Ich benetzte den Finger mit Speichel, um die Windrichtung zu bestimmen. Die Leute sagten, der Wind wehe »von Russland« oder »von Frankreich«. Diesmal – ich spürte es deutlich – wehte er »von BRD «. Nachdem ich einen letzten Blick auf den Birkenhain geworfen hatte, marschierte ich wohlgemut los, Richtung Bahnhof.
    Ich strolchte an den Gleisen des Güterbahnhofs entlang, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte.
    »Wohin des Weges? Sollten wir nicht in der Schule sein?«
    Der Störenfried war ein kugelrunder Polizist mit Zahnbürstenschnurrbart.
    »Es ist nicht, wie Sie denken«, beeilte ich mich zu sagen, »ich habe verschlafen, sonst nichts.«
    Der Polizist sah mich prüfend an.
    »Und dann schlendern wir hier in aller Ruhe herum, ja?«
    Ich nickte brav, doch meine Beine zitterten allzu verräterisch.
    »Bummelantin!«, schrie der Polizist. Ich umklammerte mit beiden Händen meinen Stock, bis das Geschimpfe in einen knorpeligen Hustenanfall überging. »Und was haben wir da im Beutelchen? Hmm?«
    Widerwillig löste ich den Knoten des Bündels und lieferte meinen Schatz dem zuckenden Auge des Polizisten aus, der sich sofort nach meiner Dose bückte.
    »Soso«, brummte er, die Dose beäugend wie einen seltenen Edelstein. »Pass mal auf! Du gibst dem netten Polizisten diese schöne Dose hier, gehst brav in die Schule, und wir vergessen die Sache.«
    O nein. »Die Dose kann ich dem Herrn leider nicht geben, die brauche ich selbst. Ich gehe nämlich nach BRD «, sprudelte es aus mir heraus. Der Polizist glotzte mich mit offenem Mund an, als begreife er den Sinn meiner Worte nicht.
    »Eine Fahnenflüchtige also!«, brüllte er in frisch entfachtem Zorn. »Na warte! Wenn ich das deinen Eltern erzähle!«
    »Aber meine Eltern sind beide tot«, log ich, während ich beschämt die Schuhspitze durch den Staub zog. Meine Cola-Dose
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