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Sirup: Roman (German Edition)

Sirup: Roman (German Edition)

Titel: Sirup: Roman (German Edition)
Autoren: Max Barry
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Konzeptskizze machen«, während ich noch immer wie gebannt auf die Mappe glotze. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie dieses Ding mit sich herumtragen und trotzdem cool erscheinen kann, doch das übersteigt bei weitem meine geistigen Möglichkeiten. Ich vermisse schmerzlich Sneaky Pete, der bei der Lösung solcher Rätsel zu seiner Höchstform aufläuft.
    »Scat?« 6 starrt auf meine Serviette, und ich schaue nach unten und sehe, daß es mir irgendwie gelungen ist, einen langen weißen Faden aus dem Gewebe herauszuziehen. Ich lege die Serviette zusammen mit zwei Gabeln, die sich darin verfangen haben, vornehm auf meinen Schoß. 6 räuspert sich. »Die Konzeptskizze.«
    Ich rase im Geiste zurück in meine College-Tage in der Hoffnung, dort etwas zu entdecken, was auch nur entfernt an eine Konzeptskizze erinnert. Offenbar hab ich den Kurs damals versäumt. »Gute Idee«, sage ich rasch.
    »Ich kann ein paar Leute anfordern«, sagt 6. »Wir werden die Skizze dann morgen durcharbeiten, so daß wir das Konzept am Freitag präsentieren können.«
    Heute ist Dienstag. »So lange?«
    6 schaut zur Seite. »Dann bleibt wenigstens genug Luft für eine X-Zeit.«
    Ich habe zwar keinen Schimmer, was eine solche X-Zeit ist, doch das Wort klingt viel zu cool, um es nicht zu kennen. Der Teil meines Gehirns, dem ich meinen College-Abschluß verdanke, raunt mir leise zu, daß unter diesen Umständen wenigstens genug Luft zum Anbaggern bleibt. »Einfach fabelhaft, wie klar Sie die Dinge sehen.«
    »Danke«, sagt sie und hält nach dem Ober Ausschau. Es gelingt ihr, ihn durch eine angehobene Augenbraue anzulocken, und er steht augenblicklich neben ihr und reicht uns die Speisekarten. Natürlich braucht sie nicht mal einen Blick darauf zu werfen. »Sechs.«
    »Sehr gut«, sagte der Ober. Ich schaue in die Speisekarte und stelle zu meiner Verwunderung fest, daß tatsächlich Zahlen neben den einzelnen Gerichten stehen, so daß also wirklich möglich ist, »Nummer sechs« zu bestellen. Ich bin mir sofort sicher, daß 6 in der ganzen Stadt alle Nobelrestaurants kennt, die diesen Service bieten, und ich bin – abermals – völlig platt, wie verdammt cool 6 doch ist. In Sachen Coolness läßt sie mich echt alt aussehen. Deshalb muß ich mir schnellstens was einfallen lassen, um mich halbwegs unbeschadet aus der Affäre zu ziehen.
    Ich schiebe die Speisekarte beiseite. »Wie wär’s mit ein paar Riesentortellini? Können Sie das machen? Nicht diese kleinen Tortellini, sondern richtig große. Ich möchte nur vier Riesentortellini auf einem Teller.«
    Ich werfe 6 einen verstohlenen Blick zu, doch sie nimmt meine eigenwillige Bestellung so gleichgültig zur Kenntnis, daß ich offenbar einen Volltreffer gelandet habe. Der Ober scheint ein wenige irritiert, doch nicht so sehr, daß mir wegen meines Essens bange wird. »Und dann noch etwas vom Kalb?« fragt er. »Mit einer Funghisauce?«
    »Fabelhaft«, sagte ich und denke, daß der Verzehr niedlicher junger Tiere mir hier nur Punkte einbringen kann. Der Ober nickt und entfernt sich dann.
    6 öffnet ihre Mappe, in der einige dicke Bögen Papier untergebracht sind. »Ich habe an eine regional gestaffelte Einführung des Produkts gedacht und nicht an eine zeitgleiche Auslieferung im ganzen Land. Ich möchte zunächst in LA und New York beginnen, um die MMP anzuheizen. Vorausgesetzt natürlich, der CT fällt positiv aus.«
    Bei MMP handelt es sich um jene Mund-zu-Mund-Propaganda, die schon für so manchen Werbefritzen zum Alptraum geworden ist. Wäre diese MMP nicht so mächtig, würden die meisten Marketingleute die Existenz dieses Phänomens am liebsten leugnen. Nun steht die Werbung ohnehin vor dem Problem, daß viele Leute aufgeblasene Reklamesprüche mit einem gewissen Mißtrauen betrachten. Und der Wunsch der großen Unternehmen, daß die Millionen, die sie in die Werbung stecken, die Konsumenten dazu bringen, einfach blindwütig zuzuschlagen, geht nicht immer in Erfüllung. Vielmehr verlassen sich die meisten Leute lieber auf die Meinung ihrer Freunde. Solche Schreckenswahrheiten bereiten den Marketingleuten natürlich so manche schlaflose Nacht.
    Bei CT wiederum handelt es sich um den sogenannten Chicago-Test. Seit den siebziger Jahren wird jedes Massenprodukt, das auf den amerikanischen Markt kommt, dem CT unterzogen. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine auf Chicago beschränkte Version der geplanten landesweiten Kampagne. Alle machen diesen Test, weil 1972 irgendein
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