Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
bis sie Hayden das nächste Mal wiedersah, musste sie sich ein Reiseziel einfallen lassen, das Europa ausstach.
     
    Innen machte das Fin de siècle mehr her, als man von seiner schäbigen Fassade erwartete. Die Lobby war zwar nicht übermäßig groß, aber die dunklen Holzwände und die mit Samt bezogenen Sofas, zwischen denen niedrige Orienttische und Drachenpalmen standen, verbreiteten eine angenehme
Atmosphäre. Für jemanden wie Hayden, der alles Klare und Moderne liebte, sah das hier vermutlich nach verstaubter Vergangenheit aus, aber Esther konnte elegante Gestalten umhergehen sehen, während Pagen Schrankkoffer hievten.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, entschied Esther sich für eine kleine Auszeit, bevor sie sich ihrer Aufgabe stellen würde. Zu sehr waren die letzten Stunden ein stetes Wechselbad der Gefühle gewesen. Für ein paar Minuten in die Haut einer anderen Frau zu schlüpfen, war da einfach zu verlockend. Vor allem, weil die Lobby sie geradezu zu einer Zeitreise verführte. Um eine aufrechte Haltung bemüht, als trüge sie statt eines Mieders ein Korsett, setzte Esther sich auf eins der Sofas. Während sich ihre innere Anspannung verlor, schloss sie die Augen und begann im Geiste, eine Unterhaltung mit ihrer vornehmen Begleitung zu spinnen.
    Erst eine volltönende Männerstimme holte Esther in die Gegenwart zurück. »Wenn ich gewusst hätte, wie sehr Ihnen diese Umgebung zusagt, hätte ich mir mehr Zeit damit gelassen, zu Ihnen zu kommen.«
    Esther sprang vor Überraschung auf, bevor ihr klarwurde, wie ertappt sie dadurch wirkte. Adam war auf der Hälfte der Treppe stehen geblieben und musterte sie - ob nun amüsiert oder kritisch konnte sie nicht sagen. Er sah tadellos gekleidet aus, nur das nasse, zurückgekämmte Haar verriet, dass er eben erst vom Bett unter die Dusche gestiegen war. Nicht etwa, weil er zu lange geschlafen hätte … für einen solchen Fehlschluss kannte Esther sich zu gut mit seinesgleichen aus.
    »Entschuldigen Sie, aber ich habe noch nicht mit Ihnen gerechnet.« Esther stockte. Warum hätte sie auch mit ihm
rechnen sollen? Schließlich hatte sie ihren Besuch noch nicht bei der Rezeption angemeldet. »Haben Sie mich etwa eintreffen sehen?«
    Die Frage schien Adam zu amüsieren. »Mehr oder weniger. Ihr Duft hat Sie verraten, wenn Sie es genau wissen wollen.«
    Obwohl er es leicht dahinsagte, färbten sich Esthers Wangen rot, als habe er ihr ein vertrauliches Kompliment gemacht. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht? Wir können uns auch gern zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten«, brachte sie in einem geschäftsmäßigen Ton hervor, nachdem sie ihre Verunsicherung überwunden hatte.
    Adam kam den Rest der Treppe herunter, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. »Stören, wobei?«
    Esthers Augenbrauen schnellten in die Höhe. Entweder war dieser Mann vollkommen schamlos, oder er hatte in seinem Zustand gestern gar nicht mehr mitbekommen, dass er sich vor den Augen aller Gäste mit Anders’ Gefährtin vergnügt hatte. Von den anderen Dingen, die vorgefallen waren, ganz zu schweigen. Esther beschloss, direkt auf ihr Anliegen zu sprechen zu kommen.
    »Anders wünscht, dass ich Sie mit Ihrer Aufgabe vertraut mache, da ihm das Thema ein wenig unangenehm ist.«
    Adam kam vor ihr zum Stehen, und unwillkürlich streckte sie einen Arm vor, damit er einen gewissen Abstand wahrte. Einen Augenblick lang sah er überrascht auf ihren grenzpfahlgleichen Arm, dann schenkte er ihr ein Lächeln, das keineswegs beruhigend wirkte.
    »Man könnte fast meinen, meine Gegenwart wäre Ihnen unangenehm. Dabei kenne ich noch nicht einmal Ihren Namen.«
    »Ja, das stimmt. Eigentlich hätten wir uns gestern Abend
bereits vorgestellt werden sollen. Aber dann waren Sie ja zuerst damit beschäftigt, meinen Herrn zu küssen …« Esther hielt unvermittelt inne. Was war nur los mit ihr? Für gewöhnlich hatte sie sich vollkommen im Griff, wenn sie in Anders’ Auftrag handelte.
    Adam wischte sich mit einer flüchtigen Bewegung über die Lippen, als könne er kaum glauben, was er getan haben sollte. »Es war kein Kuss im eigentlichen Sinne.«
    Es klang überraschend entschuldigend, dann wurde sein Ausdruck undurchdringlich. Derselbe Ausdruck wie auf der Party, bis Anders den Dämon in ihm geweckt hatte. Daraufhin hatte er lichterloh gebrannt. Eine Erinnerung, die sie nach wie vor in Unruhe versetzte, so eindrucksvoll war die Reaktion dieses Mannes auf Anders’ Gabe gewesen … und hatte etwas längst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher