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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition)
Autoren: Gina Schulze
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Buchstäblich, denn ich brachte fast nichts von dem köstlichen Essen herunter, das sie für mich gekocht hatte. Ich täuschte eine Magenkolik vor und räumte unter tausend Entschuldigungen das Feld.«
    »Wie schön für mich. Nun sind wir also beide …« Fast hätte ich mich verplappert. Aber Birgul packt sein Geschenk aus und hat meinen angefangenen Satz wegen dem Papiergeraschel nicht gehört.
    »Es ist nur eine Kopie«, sage ich vorsichtshalber.
    »Made in Romania«, liest Birgul vor, als er die Unterseite der Figur sieht. »Aber ich bin trotzdem gerührt. Auch wenn es nur eine Kopie ist.«
    Das Flugzeug befindet sich jetzt im Landeanflug auf Zürich. »Mir bleibt wenig Zeit, Frau … Adler, mich bei Ihnen zu revanchieren. Darum glauben Sie bitte einem Mann, der betrügen würde wie Sie, wenn er geistig dazu in der Lage wäre und der Ihnen sagt: Wann immer Sie mich brauchen, ich bin für Sie da. Nehmen Sie das als Vorschuss auf meine Freundschaft. Und besuchen Sie mich. Ich würde zu gern die ganze Geschichte hören.«
    Auch ich bin gerührt. Sehr selten bekomme ich solch ein Angebot. Andere Frauen brauchen nur Hilfe suchend zu schauen, und schon sind die Männer bereit, einen Drachen zu töten. Ich gehöre nicht zu dieser Sorte, ganz im Gegenteil. Ich kann noch so ratlos an einem Bahnsteig herumstehen, die Leute fragen mich nach dem Weg oder wollen von mir wissen, warum der Zug Verspätung hat. An einer Autobahnraststätte fragte mich mal eine Frau, wie der Wasserhahn funktioniert. Es war wirklich kompliziert und ich brauchte selbst einen Moment, um dahinterzukommen. Nachdem ich es ihr dann erklärt und vorgemacht hatte, wusch sie sich die Hände. Bevor sie ging, zupfte sie mich am Ärmel und zeigte auf eine der Klotüren. »Da hinten ist das Toilettenpapier alle«, sagte sie und ließ mich sprachlos zurück.
    Birgul drückt mir seine Visitenkarte in die Hand. Ich küsse ihn auf die Backe. Er wird rot, steht dann auf, macht mir Platz und sagt: »Gehen Sie nur vor, meine Liebe. Ich warte, bis alle weg sind, damit niemand sieht, wie ich mich zum Ausgang quetsche. Und schauen Sie bitte nicht zurück, ich will nicht, dass sie mich als Witzfigur in Erinnerung behalten.«
    Am Flughafen Zürich geht es schnell weiter, ich hab gar keine Zeit, groß nachzudenken. Beim Aussteigen in Nürnberg weiß ich immer noch nicht, was ich jetzt eigentlich machen soll. Bei Freunden Asyl suchen? Die Nacht im Hotel verbringen? Ich drücke mich noch eine Weile am Flughafen herum, dann nehme ich mir ein Taxi und lasse mich halt doch nach Hause fahren. Zu Hause ist zu Hause, egal, was passiert ist, sage ich mir.
    Je näher wir Erlangen kommen, desto kleiner wird mein Magen. Schließlich stehen wir vor unserem Haus. »Guude Nachd und Dange für ihren Auftraach. Ein Zuschlach ist nicht erfodderlich«, verabschiedet sich der Fahrer. Ich warte vor der Gartentür, bis er weg ist, dann gebe ich mir einen Ruck, schließe die Tür auf, stelle meine Sachen ab, gehe in die Küche. Ein Stapel Post und Zeitungen liegt auf dem Küchentisch. Das war der Nachbarjunge, der den Briefkasten ausleert, wenn Max und ich auf Duur sind , wie er zu sagen pflegt.
    Die Küche ist sauber und aufgeräumt, die Luft abgestanden und der Kühlschrank leer. Im Abfalleimer liegt eine vertrocknete Brotkante. Auf der Anrichte steht eine Flasche Wein. Ich mache sie auf und nehme mir ein Glas. Die Askese kann warten. Gehe ins Wohnzimmer, sehe, wie der Anrufbeantworter blinkt, höre ihn ab. Jutta Bandelow will, dass ich mich umgehend bei ihr melde, wenn ich wieder zu Hause bin. Auch meine Mutter, die Mutter von Max und unser Vermieter wollen das. Aber bestimmt nicht nachts um halb 11.
     
    Ich hole das Notebook aus meinem Koffer. Vor einigen Tagen war das Mailprogramm gestört, aber wer weiß, vielleicht geht es jetzt wieder. Wie alle technischen Geräte ist auch ein Notebook in seinen Reaktionen völlig unberechenbar.
    Zum Beispiel meine Nähmaschine. Ich wünsche mir oft, dass ein Kilometerzähler eingebaut wäre, weil ich gerne wüsste, wie viel ich in den 30 Jahren genäht habe, die ich sie nun schon besitze. Sie ist eine zähe Arbeiterin, aber launisch wie eine Frau in den Wechseljahren. Eine ihrer Launen ist, dass sie ab und zu so tut, als wäre sie kaputt. Dann geht nichts mehr. Der Unterfaden knödelt, die Spannung lässt sich nicht regulieren. Jede neue Einstellung bringt das gleiche Resultat. Was ich auch mache – ölen, reinigen, Nadel auswechseln – es nutzt
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