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Singularität

Singularität

Titel: Singularität
Autoren: Charles Stross
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Gleichzeitig drang aus dem Koffer
der Geruch frischer Hefe.
    Es gab fast nichts, das dieses Messer, ein einsträngiger
Supraleiter, der durch ein ungeheuer kraftvolles Magnetfeld in
Position blieb, nicht hätte durchtrennen können. Martin
wälzte sich auf den Rücken und blickte genau in dem Moment
auf, als Wassily, das Gesicht zur leblosen Maske verzerrt, auf ihn
zukam und das Messer hob. Etwas summte kurz auf, dann verdrehte
Wassily die Augen nach oben und sackte über dem Koffer
zusammen.
    Rachel, deren Arme und Brust brannten, senkte das
Betäubungsgewehr und fiel wieder ins Tempo der realen Welt
zurück. Wenn du das zu oft machst, bist du bald tot. »Teufel noch mal, hat denn jeder an Bord dieser
Flotte einen geheimen Plan verfolgt?«
    »Sieht ganz danach aus.« Martin versuchte sich
aufzusetzen.
    »Was ist geschehen?« Burija blickte sich benommen
um.
    »Ich nehme an…« Rachel warf einen Blick auf den
Koffer, der unheilverkündend zischte: Das Supramesser hatte
etliche Synthesezellen durchschnitten. Offenbar leckten jetzt einige
der Brennstoffbehälter schneller, als die Reparaturprogramme mit
der Dichtung nachkamen. »Könnte sich als schlechte Idee
erweisen, noch länger hier zu bleiben. Sollen wir auf dem Weg
nach Plotsk darüber reden?«
    »Ja.« Burija wälzte Wassily vom Koffer herunter und
zog ihn etwas weiter weg. »Ist er wirklich mein Sohn?«
    »Wahrscheinlich schon.« Rachel hielt inne, um
gähnend nach Luft zu schnappen. »Ich hab mich sowieso ein
wenig gewundert und mich gefragt, warum er an Bord war. Konnte ja
kein Zufall sein. Und dann die Art, wie er auf Sie losging.
Programmiert, nehme ich an. Das Kuratorenbüro muss sich
ausgerechnet haben, dass Sie im Fall einer Revolution eine zentrale
Rolle spielen würden. Als vaterloses Kind einer Mutter, die in
Schande gefallen war, muss er leicht zu rekrutieren gewesen sein.
Klingt das plausibel?«
    Siebente Schwester hatte sich hochgerappelt und schnüffelte
an der gläsernen Zelle, in welcher der um ein Haar verschiedene
Herzog Felix Politowski festsaß. »Hab Festival gesagt,
Passagier muss jetzt bald hochgeladen werden«, erklärte sie
mit polternder Stimme. »Du erzählst Geschichte?
Ehrenschuld?«
    »Später«, erwiderte Martin.
    »Okay.« Siebente Schwester schnappte mit den Zähnen
in der Luft herum. »Dein Konto bei Mythenbank jetzt nicht
gedeckt. Ich regle das. Ihr nun baldig nach Plotsk geht?«
    »Ehe der Koffer bäng-bäng macht«,
bestätigte Martin und stand leicht schwankend auf. Als er das
Gewicht auf ein Knie verlagerte, zuckte er zusammen.
»Rachel?«
    »Ich komme.« Die schwarzen Flecken in ihrem Blickfeld
waren fast verschwunden. »Okay. Hm, wenn wir ihn fesseln und
dann in eure wandelnde Hütte verfrachten, können wir uns
später um seine Gehirnwäsche kümmern. Müssen doch
nachsehen, ob mehr in ihm steckt als ein Mensch, der auf Mord
programmiert ist.«
    »Einverstanden.« Burija schwieg kurz. »Damit hab
ich nicht gerechnet.«
    »Wir auch nicht«, erwiderte sie kurz angebunden.
»Kommen Sie, lassen Sie uns gehen, ehe dieses Ding
explodiert.«
    Sie ließen die tickende Bombe der Revolution hinter sich.
Und auch das letzte Überbleibsel des Ancien Regime, das
seine materielle Gestalt jetzt nie mehr verändern würde.
Gemeinsam stolperten sie den Hügel hinab, auf die Straße
zu, die nach Plotsk führte.

 
epilog
     
     
    Sobald die Neuigkeit, dass Admiral Kurtz wundersamerweise im
Herzoglichen Palast aufgetaucht war, in der Stadt die Runde gemacht
hatte, setzte sich ein zarter Anschein von Normalität durch. Die
Revolutionsausschüsse, die in der Getreidebörse
zusammengezogen waren, beobachteten die Lage mit einiger Sorge, aber
den einfachen Leuten war sie gar nicht so unlieb. Die meisten von
ihnen waren verwirrt, desorientiert und aufgrund der seltsamen
Vorkommnisse völlig aus der Bahn geworfen. Und die anderen
hatten die Stadt größtenteils schon verlassen. Die
Überlebenden schlossen sich inmitten der Ruinen früherer
Gewissheiten zum gegenseitigen Trost zusammen, ernährten sich
von dem Manna, das die Maschinen des Festivals ihnen spendeten, und
beteten.
    Der verblüffend gute Gesundheitszustand des Admirals hielt
weiterhin an. Wie Robard schon früher aufgefallen war, traten
bei den Menschen, die das Festival überlebt hatten,
Alterskrankheiten aus gutem Grund nur äußerst selten auf.
Auf Anraten des Kurators hatte der Admiral großherzig eine
Amnestie für alle progressiven Elemente sowie eine Phase
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