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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition)
Autoren: Hugh Howey
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geben sollen, als er für die Reinigung brauchte? Mit seinen
unförmigen Handschuhen suchte er nach den Schnallen, aber dafür waren sie nicht
gemacht, sie waren Teil des Anzugs, und es war ein Ganzkörperoverall mit zwei
Reißverschlüssen am Rücken, die zusätzlich mit einem Klettverschluss gesichert
waren. Er würde nie da herauskommen, nicht ohne Hilfe. Er würde in diesem Anzug
sterben, vergiftet, erstickt an seinem eigenen Atem – er wusste nun, was
Klaustrophobie wirklich hieß, was es hieß, tatsächlich eingesperrt zu sein. Im
Vergleich zu seinem Ringen jetzt, zu seinem schmerzerfüllten Kampf in diesem
maßgeschneiderten Sarg, war die Enge im Silo gar nichts gewesen. Er wand sich
und schlug nach den Schnallen, aber seine wattierten Finger waren zu dick. Und
die Blindheit machte alles noch schlimmer, sie verlieh ihm das Gefühl, in eine
Decke eingewickelt zu sein, in der Falle zu sitzen. Wieder würgte er vor
Schmerz. Er beugte sich hinunter, die Hände im Dreck – und plötzlich spürte er
etwas durch den Handschuh. Einen Stich.
    Er tastete umher und
fand den Gegenstand – einen spitzen Stein. Ein Werkzeug. Holston versuchte,
sich zu beruhigen. Die Jahre, in denen er selbst zur Ruhe gerufen, andere
besänftigt und Stabilität ins Chaos gebracht hatte, zahlten sich nun aus.
Vorsichtig nahm er den Stein, panisch vor Angst, ihn in seiner Blindheit wieder
zu verlieren, und hielt ihn vor sein Visier. Er dachte kurz daran, die Handschuhe
mit dem Stein abzutrennen, war sich dann aber nicht sicher, wie lange die Luft
noch reichen würde. Er stach mit der Spitze des Steins an die Stelle seitlich
am Helm, wo er die Schnalle vermutete. Er hörte den Knall, als der Stein
auftraf. Klack, klack. Wieder schüttelte ihn ein Brechreiz. Er zielte
sorgfältiger, hörte ein Klicken statt eines Klackens. Ein Lichtstreif drang in
den Helm, als eine Seite offen war. Er würgte an seinen eigenen Ausdünstungen,
an der schalen, verbrauchten Luft um ihn herum. Er nahm den Stein in die andere
Hand und zielte auf die zweite Schnalle. Ein Klacken und noch eines, dann war
der Helm ganz offen.
    Und Holston konnte
sehen! Seine Augen tränten vor Anstrengung, weil er keine Luft bekam, aber er
konnte sehen. Er blinzelte die Tränen weg und wollte einen tiefen Zug frischer
blauer Luft atmen und seine Lungen füllen.
    Doch stattdessen
bekam er einen Schlag gegen die Brust. Er würgte. Er spuckte Speichel und
Galle. Die Welt um ihn herum war braun geworden. Braunes Gras, grauer Himmel.
Kein Grün, kein Blau, kein Leben.
    Er fiel auf die
Seite, landete auf der Schulter. Sein Helm lag offen vor ihm, das Visier
schwarz und tot. Holston nahm ihn verwirrt in die Hand. Das Visier war außen
mit Silberfarbe überzogen, innen war nichts. Kein Glas. Eine raue Oberfläche,
durch die man nicht hindurchsehen konnte. Drähte führten hinein und hinaus. Der
Monitor war dunkel geworden. Tote Pixel.
    Wieder erbrach er
sich, wischte sich dann geschwächt den Mund und blickte den Hügel hinunter. Er
sah die Welt mit bloßen Augen, wie sie war, wie er sie immer gesehen hatte. Öde
und kahl. Er ließ den Helm los, legte die Lüge ab, die er aus dem Silo mit
hinausgenommen hatte. Er starb. Die Gifte fraßen ihn von innen auf. Er
blinzelte in die schwarzen Wolken, die wie Ungeheuer über seinem Kopf
hinwegzogen. Er drehte sich um, überprüfte, wie weit er gekommen war, wie weit
es noch wäre bis zu der Hügelkuppe. Dann bemerkte er das Ding, an das er, auf
allen vieren kriechend, gestoßen war. Ein großer, schlafender Stein. Er war
nicht im Visier zu sehen gewesen, war nicht Teil der Lüge auf dem kleinen
Monitor gewesen, auf dem vermutlich eines der Programme lief, die Allison
entdeckt hatte.
    Holston streckte die
Hand aus und berührte den Brocken. Der weiße Overall zerfiel wie brüchiger
Stein. Er konnte seinen Kopf nicht länger halten. Holston rollte sich zusammen
in dem langsamen Tod, der ihn nun überwältigte, und hielt dabei in der Hand,
was von seiner Frau übrig geblieben war. Sein letzter Gedanke war, wie dieser
Tod wohl in den Augen derer wirken würde, die ihn sehen konnten – wie er sich
da zusammenkauerte, wie er in der schwarzen Spalte eines leblosen braunen
Hügels starb, während eine verfallende Stadt still und einsam hinter ihm stand.
    Was würden sie
sehen, jene, die überhaupt hinsahen?

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