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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition)
Autoren: Hugh Howey
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er
hier drinnen bei lebendigem Leib zusammen mit den Plastikvorhängen verbrannt
wurde. Besser, er überlebte ein paar Augenblicke länger.
    Als der Spalt breit
genug war, zwängte Holston sich hindurch, sein Anzug rieb und verfing sich an
den Türen. Um ihn herum bildete sich ein Dunstschleier, da das Argon in der
weniger komprimierten Luft draußen kondensierte. Blind stolperte er vorwärts,
er tastete sich durch die weiche Wolke ins Freie hinaus.
    Die Außentüren
knarrten und begannen sich wieder zu schließen. Das Geräusch der Hupe wurde von
dem lauten Quietschen der massiven Stahlkonstruktion verschluckt. Holston und die
giftige Luft waren ausgeschlossen, nun wüteten die reinigenden Flammen in der
Luftschleuse und neutralisierten jede Kontaminierung, die ins Innere gedrungen
war.
    Holston stand am Fuß
einer Betonrampe – die Rampe führte hinauf. Er hatte das Gefühl, im Hinterkopf
ein leises Ticken zu hören, das ihn daran erinnerte, wie knapp die Zeit
bemessen war. Schnell, schnell! Seine Lebensuhr lief ab. Er stapfte die Rampe
hinauf. Es irritierte ihn, dass er noch nicht oben war, er war daran gewöhnt,
die Welt und den Horizont von der Kantine und vom Aufenthaltsraum aus zu sehen,
und die befanden sich auf derselben Ebene wie die Luftschleuse.
    Er schlurfte die
schmale Rampe hinauf, zu beiden Seiten erhoben sich bröckelnde Betonmauern,
sein Visier war von einem verwirrenden, grellen Licht erfüllt. Oben angekommen,
sah Holston den weiten Himmel, in den er wegen seiner kleinen Sünde der
Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seiner Frau verbannt worden war. Er drehte
sich im Kreis und suchte den Horizont ab, ihm schwirrte der Kopf von so viel
Grün!
    Grüne Hügel, grünes
Gras, ein grüner Teppich unter seinen Füßen. Holston jauchzte in seinem Helm
auf. Ihm war ganz schwindlig von diesem Anblick. Und über all dem Grün hing
exakt das Blau aus den Kinderbüchern. Die weißen Wolken waren makellos, lebendige
Dinge flatterten durch die Luft.
    Holston drehte sich
wieder und wieder um sich selbst und nahm alles in sich auf. Plötzlich fiel ihm
ein, dass seine Frau dasselbe getan hatte. Er hatte sie bei ihren ungelenken,
langsamen Drehungen um die eigene Achse beobachtet, fast so, als wäre sie
verwirrt oder als würde sie überlegen, ob sie sich nun der Reinigung widmen
sollte oder nicht.
    Die Reinigung!
    Holston zog einen
Wollebausch vom Brustteil seines Anzugs. Die Reinigung! In schwindelnder Eile,
in einem Strudel der Erkenntnis wusste er jetzt, warum die Verurteilten die
Reinigung übernahmen. Warum!
    Er blickte an die
Stelle, wo er die hohe, runde Wand der obersten Etage vermutet hatte, aber die
Mauer war natürlich in die Erde eingelassen. Hinter ihm gab es nur eine kleine
Erhebung aus Beton, ein Türmchen von höchstens zweieinhalb, drei Metern Höhe.
Auf einer Seite führte eine Eisenleiter hinauf, ganz oben ragte die Antenne
empor. An der Seite ihm gegenüber – und auf allen Seiten, wie er sah, als er
sich näherte – hingen die großen, abgerundeten Fischaugenlinsen der
leistungsstarken Silokameras.
    Mit der Wolle in der
Hand ging Holston zur ersten Linse. Er stellte sich vor, dass man ihn nun in
der Kantine sehen könnte, wie er weiter auf die Linse zuging und immer größer
wurde. Vor drei Jahren hatte er das auch bei seiner Frau gesehen. Er erinnerte
sich an ihr Winken. Damals hatte er gedacht, sie versuche lediglich das
Gleichgewicht zu halten, aber hatte sie ihm vielleicht etwas mitteilen wollen?
Hatte sie auch so dümmlich, so breit gegrinst wie nun er? Hatte auch sie
Herzklopfen gehabt vor irrer Hoffnung, während sie gesprüht, geschrubbt,
gewischt, poliert hatte? Holston wusste, dass die Kantine leer wäre, es gab
niemanden mehr, der ihn ausreichend liebte, um zuzusehen, aber er winkte
trotzdem. Er verspürte auch nicht die nackte Wut, mit der vermutlich einige der
anderen die Reinigung übernommen hatten. Er erledigte die Arbeit nicht in dem
Wissen, dass die Menschen im Silo verdammt waren und die Verdammten frei. Auch
nicht das Gefühl, verraten worden zu sein, ließ seine Hand in kleinen
kreisenden Bewegungen über die Linse gleiten. Es war Mitleid. Bloßes Mitleid
und grenzenlose Freude.
    Holston kamen die
Tränen, die Welt verschwamm, aber auf angenehme Weise. Seine Frau hatte recht
gehabt: Der Blick von innen war ein Schwindel. Die Hügel sahen im Grunde aus
wie immer – nachdem sie so viele Jahren sein Leben begleitet hatten, erkannte
er jede Wölbung, jede kleine Mulde auf den
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