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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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Schüler gegeben hat. Dadurch natürlich wilde Kämpfe, halsbrecherische Jagden über die Kellerstiege hinunter, und letzten Endes war das ja auch der Grund, warum der Franz und der Unterhauser ihr Leben im Internat riskiert und statt der Sonntagsmesse gespielt haben. Sie haben einmal im Jahr in Ruhe spielen wollen, ohne daß sie von einem Größeren verdrängt und verdroschen werden.
    Aber eben nicht nur die Größeren lästig, sondern auch die Kleineren, sprich Intrige. Weil da hat ein ganz ein Schlauer aus der ersten Klasse den Trick entwickelt, daß er einen Lappen hineingeschoben hat, damit die Bälle hängenbleiben. Ohne Ball ist natürlich das schönste Tischfußball nicht lustig, und wenn dann alle aus dem Keller verschwunden sind, ist der kleine Schlaumeier hinunterspaziert, hat den Lappen samt den Bällen herausgezogen und die ganze Freizeit mit seinem Freund gespielt.
    Der Unterhauser hat jetzt in sein Tor hineingegriffen und getastet, ob er den Lappen erwischt. Der Torschlitz war genau so hoch, daß man mit der Hand noch schön hineingekommen ist, aber dort hinten, wo die Bälle weggerollt sind, ist es natürlich gleich zu schmal geworden für seine Hand, das hat der klobige Tischler ganz elegant konstruiert, weil Rücklauf nur mehr Ballumfang.
    «Ich erwisch ihn nicht», hat er zum Franz gesagt, und der hat es dann auch noch probiert, aber nichts da, Lappen nicht zu erwischen.
    «Da hinten wird es ja total eng!» hat er erschrocken gerufen, daß man glauben hätte können, der Marianumszögling kriegt vor lauter Panik seine Hand nicht mehr aus dem schwarzen Loch heraus.
    «Dann spielen wir halt so weiter», hat der Unterhauser entschieden. «Einen Ball haben wir ja noch. Jetzt darf eben nur noch ich die Tore schießen», hat er frech gelacht, weil beim Franz-Tor sind die Bälle ja problemlos herausgekommen.
    Halleluja! Der Franz hat diese Provokation mit einem so brutalen Torschuß kommentiert, daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn der Ball vor lauter Wucht die Sperrholzwand durchschlagen hätte. Aber leider, der Haustischler zu gute Arbeit, und der Ball ist weggerollt und aus.
    «So, das war’s dann», hat der Unterhauser sauer gesagt. Weil natürlich ist der dritte Ball unten wieder nicht herausgekommen, Totalverstopfung im Tischfußballtisch, das ist, wie wenn der Abfluß von deiner Badewanne verstopft ist, da kannst du tonnenweise Mittel hineinschütten, bis schon deine ganze Straße unter Brechdurchfall leidet vor lauter Umwelt, aber dein Abfluß hält immer noch dicht wie eine ganze Kondom-Familienpackung.
    «Greif noch einmal hinein, ob du ihn erwischst.»
    Etwas Besseres ist dem Franz jetzt auch nicht eingefallen, weil Messe noch mindestens eine halbe Stunde, und was sollen sie jetzt sonst machen.
    Aber zweiter Versuch auch hoffnungslos.
    «Der muß vielleicht dünne Arme haben!» hat der Unterhauser sich über den raffinierten Erstklaßler gewundert, der da den Lappen offenbar problemlos aus und ein bewegt hat.
    Und jetzt der Franz Geistesblitz: «Vielleicht hat er ihn von unten hineingestopft.»
    Er hat sich hinuntergebückt und seine Hand in den Ballschlitz gesteckt, wo normalerweise immer schon zwei von den netten Bällchen auf die Hand gewartet haben, während die dritte Kugel noch beim Zurückrollen war. Aber jetzt komplett leer, und er hat seine Hand hineingeschoben bis über das Handgelenk. Der Ballschlitz war zwar noch enger als das Tor, aber dafür ist es hinten nicht so schmal geworden.
    «Und?»
    «Nichts.
Niente»,
hat der Franz gesagt, weil das hat sein Vater einmal aus dem Italienurlaub mitgebracht, und seither familienintern für nein oft
niente,
und heute besonders passend, weil er ja die blauen Männer gehabt hat, sprich Azzurro.
    Aber jetzt eins zu eins bei Geistesblitzen, weil der Unterhauser hat den Tisch auf seiner Seite ein bißchen angehoben.
    «Vielleicht rutscht er heraus», hat er geächzt. Der Tisch ist sauschwer gewesen, und Naturgesetz, je höher er ihn gestemmt hat, um so schwerer ist er geworden.
    Jetzt auf der einen Seite der Unterhauser, der den Tisch in die Höhe stemmt, und auf der anderen Seite kniet der Franz und reckt seinen Arm fast bis zum Ellbogen in den seitlichen Ballschlitz hinein.
    «Wenn du jetzt den Tisch fallen läßt, ist mein Arm ab», hat der Franz gesagt und seinen Arm noch ein bißchen weiter in den Ballschlitz hineingeschoben.
    «Und? Spürst du was?»
    Im Rücken hat der Franz immer noch die Kellerstiege mit der Kellertür gehabt. Aber in
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