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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod
Autoren: F E Higgins
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seinen Umhang und holte einen kleinen Beutel hervor. Er lockerte das Zugband und nahm ein Häufchen getrockneter Kräuter heraus, die er um den Kopf der Leiche streute. Dabei murmelte er hörbar, wenn auch unverständlich, vor sich hin. Danach fasste er wieder in den Beutel und brachte eine Handvoll brauner Stäbchen zum Vorschein. Er zerkrümelte sie schnell zwischen den Fingern und streute das Pulver über den ganzen Körper der Leiche. Manche der Düfte kannte ich, Zimt und Anis zum Beispiel, doch andere waren mir fremd.
    Als Nächstes zog er aus seinem bauschigen Ärmel ein Glasgefäß mit weiter Öffnung. Er tauchte den Finger in die dunkle Flüssigkeit und schnippte sie durch den Raum. Die Luft wurde schwer vom Duft nach Wermut und Myrrhe. Sogar im Liegen spürte ich, dass mir von diesem Duftangriff auf meine Sinne inzwischen schwindlig war. Der junge Mr Belding war scheinbarunempfänglich für den berauschenden Duft und beobachtete das Schauspiel mit offenem Mund, während Juno die ganze Zeit in seiner Nähe stand und sacht das tropfenförmige Fläschchen schwenkte.
    Heftig und mit dramatischem Effekt klatschte Mr Pantagus auf einmal in die Hände. Selbst mein mattes Herz fuhr bei dem jähen Geräusch zusammen. Dann legte er dem toten Mädchen die Hände auf die Stirn, warf den Kopf zurück und fing an, unter seiner dunklen Kapuze hervor zu sprechen.
    »Ich rufe dich an, Hades! Herr der Unterwelt! Gebieter im Schattenreich der Toten!«
    Seine düstere Stimme jagte mir einen Schauder über den Rücken und ich zitterte. Mr Pantagus fuhr mit seiner Beschwörung fort.
    »Und deine geduldige Königin, Persephone, Gebieterin der Jahreszeiten. Hört mich! Hört mich an und erfüllt meine Bitte! Gebt uns für eine kurze Weile die Seele dieses Mädchens zurück und erlaubt dem jungen Mann hier, noch einmal mit seiner Geliebten zu sprechen!«
    Seine Worte hingen in der kalten Luft. Nichts geschah. Doch auf einmal zog Mr Belding hörbar die Luft ein und wich einen Schritt zurück. Und wäre es mir möglich gewesen, hätte ich genauso gekeucht: Sybil, bis zu diesem Moment leblos wie ein Stein, fing an, sich zu bewegen!
    Ein Beben durchlief ihren Körper von Kopf bis Fuß und sie stieß ein lang gezogenes Stöhnen aus. Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten, aber noch besser wäre es gewesen, ich hätte meine Augen bedeckt. Zu meinem Entsetzen und meinerVerblüffung zuckten die Augenlider des toten Mädchens und öffneten sich! Sie drehte ihren Kopf zu Mr Belding hin und langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Ich blinzelte angestrengt. Konnte das sein? Fasziniert und ungläubig beobachtete ich die Szene, doch ich kann nicht leugnen, dass was ich da sah, sehr wirklich erschien.
    Mit Tränen in den Augen beugte sich Mr Belding vor und sprach mit fassungslosem Staunen: »Bist du es, meine liebste Sybil? Bist du es wirklich?«
    »Ja, Henry«, flüsterte das Mädchen mit seltsam rauer Stimme. »Ich bin es, deine Sybil . Sprich schnell, mein Liebster, wir haben nicht viel Zeit.«
    Der junge Mann sah Juno an und sie ermutigte ihn mit einem Nicken. Da fiel er auf die Knie nieder, ließ seinen Kopf neben Sybil auf den Tisch sinken und fing an zu schluchzen.
    »Du musst mir vergeben«, sagte er mit erstickter Stimme. »Meine letzten Worte an dich waren so hart und im Zorn dahingeredet. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich sie bereue. Und bevor ich mich entschuldigen konnte, bist du … hat dich …« Überwältigt von seinen Gefühlen, versagte ihm die Stimme und er konnte erst nach einer Weile weitersprechen. »… hat dich diese Kutsche überrollt wie einen Straßenköter.« Mit einem verzweifelten Schluchzen schlang er die Arme um das tote Mädchen, seine Brust hob und senkte sich schwer, seine Schultern bebten. So verharrte er eine Weile, bis Juno ihn leicht am Ellbogen berührte.
    »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, flüsterte sie.
    Mr Belding versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen. Erwischte mit dem Handrücken unter der Nase vorbei und strich sich das Haar glatt. Stockend sprach er weiter.
    »Es tut mir leid, Sybil, was ich zu dir gesagt habe. Bitte lass mich diese harten Worte nicht für den Rest meines Lebens bedauern müssen, geh nicht einfach so fort! Ich flehe dich an, sag, dass du mir verzeihst!«
    Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich einmal eine drei Tage alte Leiche freundlich lächeln sehen würde, doch Sybil, von dieser flehentlichen Bitte scheinbar so tief berührt
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