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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
Autoren: Linda Lael Miller
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schlicht zwischen einem Atemzug und dem nächsten
umkamen. Im Prinzip jedoch tötete Aidan die meisten seiner Opfer nicht, und er
hatte auch noch nie Vampire aus ihnen gemacht, obwohl das Verfahren ihm nur
allzu gut bekannt war. Für ihn war dies alles eine Frage von Rang und Stand.
    Er hielt sich ein Zimmer über einer
Taverne, wo er sich an jenem Abend auch verkörperlichte. Rasch tauschte er
seine moderne Kleidung gegen einen eleganten Abendanzug und einen dunklen
Zylinder aus. Dann, als ganz privaten Scherz gewissermaßen, legte er sich noch
einen rotgefütterten Umhang aus schwarzer Seide um die Schultern.
    Ein klebriger, gelbweißer Nebel
hüllte die Innenstadt ein und dämpfte das Rattern der Wagenräder auf dem
Kopfsteinpflaster, den Lärm aus den Tavernen und das heisere Lachen der Dirnen
in den Gassen. Irgendwo schrie eine Frau, ein hohes, schrilles Geräusch, aber
Aidan achtete nicht darauf, und mit ihm auch keines der anderen schattenhaften
Wesen, die die Nacht verunsicherten.
    Er war erst einen kurzen Weg
gegangen, als er eine elegante Kutsche entdeckte, die an einer Straßenecke
hielt. Ein kleiner schmutziger Mann inzerlumpten Kleidern schob ein
halbverhungertes kleines Mädchen auf die geöffnete Kutschentür zu.
    In dein Gefährt erkannte Aidan einen
jüngeren Mann, der sogar noch elegantere Kleidung trug als er selbst und mit
weißer, sehr gepflegter Hand Münzen abzählte.
    »Ich tue es nicht, hörst du!« rief
die Kleine mit ungewöhnlicher Entschiedenheit. Sie konnte nicht älter sein als
acht oder zehn Jahre. »Ich lasse mich nicht von einem Bastard aus Knightsbridge
für einen Schilling kaufen!« kreischte sie.
    Aidan schloß für einen Moment
angeekelt die Augen. Nach all der Zeit, die seit seiner Verwandlung verstrichen
war, schockierte es ihn selbst heute noch, daß Vampire und Werwölfe nicht die
einzigen Ungeheuer auf der Welt waren.
    »Steig in die Kutsche und tu, wie
dir geheißen wird!« schrie der Zerlumpte und versetzte dem Kind einen harten
Stoß zwischen die mageren Schultern. »Ich will nicht die ganze Nacht hier
herumstehen und mit dir streiten, Shellie Biffle!«
    Aidan trat vor. Nachdem er eine Hand
um den Nacken des zerlumpten Mannes geschlossen und die kleine Ratte damit vorübergehend
gelähmt hatte, sprach er das kleine Mädchen höflich an.
    »Dieser Mann hier —« er deutete auf
den erschrockenen kleinen Mann — »ist er dein Vater?«
    »Teufel, nein!« entgegnete Shellie
barsch. »Er ist ein schmutziger Zuhälter, mehr nicht. Ich habe keine Eltern
mehr — glauben Sie, sonst wäre ich hier?«
    Aidan ließ eine Fünfpfundnote in
seiner Hand erscheinen. »Im West End gibt es eine Frau, die sich um dich
kümmern wird«, sagte er. »Geh zu ihr.«
    Ohne ein einziges Wort zu äußern,
übermittelte er dem Bewußtsein des Kindes Namen und Adresse der Frau, und die
Kleine tauchte hastig, nachdem sie den Geldschein an sich genommen hatte, in
der Dunkelheit der Gassen unter.
    Die Kutschpferde wurden allmählich
ungeduldig, doch der Dandy und der Kutscher blieben gehorsam, verwundert und so
hilflos wie der zerlumpte Kuppler auf ihren Plätzen sitzen.
    Aidan hob den Schmutzfink am Nacken
hoch und ließ ihn seine beeindruckenden Vampirzähne sehen. Es wäre ihm jetzt
das reinste Vergnügen gewesen, sie in dieser speziellen Halsschlagader zu
vergraben, dieser menschlichen Ratte das Blut auszusaugen und ihren Körper
beiseite zu schleudern wie eine leere Nußschale . Aber Aidan hatte sich ein
noch minderwertigeres Opfer ausgesucht — den reichen Verführer, der sich bis
nach Whitechapel gewagt hatte, um mit Geld die Unschuld eines Kindes zu
erkaufen.
    Aidan schleuderte den Kuppler von
sich und hörte das dumpfe Knirschen von Knochen, die an der harten Steinfassade
des nahen Gebäudes zersplitterten. Pech gehabt, dachte Aidan mit einem
bedauernden Lächeln.
    Dann stieg er gemächlich in das
Innere der Kutsche und ließ sich auf der ledergepolsterten Bank gegenüber
seinem Opfer nieder. Mit einem bloßen Gedanken brach er den Bann, der sowohl
den Kutscher wie auch seinen Herrn zu betroffenem Schweigen verurteilte.
    »Sagen Sie dem Mann, daß er Sie nach
Hause fahren soll«, befahl Aidan, nicht unfreundlich, und warf einen prüfenden
Blick auf seine Handschuhe, um sich zu vergewissern, daß nichts von dem Schmutz
des Kupplers darauf haften geblieben war.
    Es war dunkel in der Kutsche, aber
Aidans Sichtvermögen war klar wie bei hellichtem Tag, und er sah, daß der junge
Edelmann heftig
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