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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
Autoren: Linda Lael Miller
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Es löste Qual und Freude zugleich
aus, dieses Gefühl, und seine mögliche Bedeutung ließ ihn schwindlig werden.
    Wieso waren ihm ausgerechnet in
dieser Nacht die Worte der Zigeunerin eingefallen? Worte, die von einem
kindlichen Verstand registriert und keine fünf Minuten darauf schon wieder
vergessen gewesen waren?
    Eine Frau wird zu ihm kommen ... sie
wird seine Rettung oder seine Verdammnis sein ...
    Nein, dachte er entschieden, denn
trotz seines unermeßlichen Wissens über Welt und Schöpfung erschien die Theorie
ihm zu
    phantastisch, um akzeptiert zu
werden. Es gab niemanden, der ihn retten oder verdammen konnte; ein solches
Wesen existierte vermutlich nicht einmal.
    Und doch hatten sich die
Prophezeiungen der alten Zigeunerin in mancher Hinsicht als richtig erwiesen.
Er und Maeve waren aus dem normalen Leben Sterblicher verdammt worden.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte
die Frau und riß ihn aus seinen Überlegungen. »Sie sind ein bißchen blaß.«
    Ihre Bemerkung war so zutreffend,
daß Aidan fast gelacht hätte, aber er wagte nicht, sich gehenzulassen. Er war
ausgehungert, und die Frau und das Kind vor ihm konnten nicht wissen, was für
einem Ungeheuer sie gegenüberstanden, und das mutterseelenallein in diesem
dunklen, wispernden Wald.
    Ihr Blut würde wie süßer Nektar
sein, von lebensspendender Energie durch seine Reinheit, und es würde ihn
viele, viele Nächte am Leben erhalten .
    Die leise Besorgnis, die in ihrer
Stimme mitschwang, erschütterte Aidan, er konnte sich nicht entsinnen, wann
eine Frau das
    letzte Mal mit einer solchen
Zärtlichkeit zu ihm gesprochen hatte. Er holte tief Luft, obwohl er keinen Atem
brauchte, und ließ sie langsam wieder aus, um seine inneren Dämonen mit letzter
Kraft in Schach zu halten. »Ja«, erwiderte er gepreßt. »Ich war ... krank.«
    »Es macht nichts, wenn Sie keine
Bonbons haben«, sagte der kleine Junge großzügig. »Tante Neely läßt mich
sowieso nichts essen, was mir Fremde geben.«
    Ein betäubendes Dröhnen stieg in
Aidan auf und brauste durch seine Ohren. Neely. Er merkte sich den Namen — ein
Detail, das unwichtig schien angesichts der überwältigenden Reaktion, die sie
ihn ihm auslöste. Aber er klang wie Musik in seiner Seele. Seine
Selbstbeherrschung ließ mit jedem weiteren Moment nach; er mußte diesem Paar
entfliehen, bevor er seine selbstauferlegte, aber unverbrüchliche Regel brach
und beide ihres Blutes beraubte.
    Doch trotz allem war er so
erschüttert, so fasziniert von diesem unerwarteten menschlichen Gast, daß er
nicht imstande war, sich zu bewegen.
    »Ich habe etwas Besseres als Bonbons«,
hörte er sich nach einem harten inneren Kampf sagen, nahm ein Geldstück aus dem
alten Kirschbaumkästchen auf dem Dielenschrank und ließ es in den Kürbis
fallen, den der Junge ihm hinhielt. »Ich wünsche dir ein frohes Halloween.«
    Neelys braune Augen richteten sich
auf Aidan, und sie lächelte.
    Er betrachtete den Puls am Ansatz
ihres rechten Ohrs und stellte sich die Kraft vor, die er aus ihr beziehen
könnte, die Vitalität und das Leben. Der bloße Gedanke daran weckte den Wunsch
in ihm, zu weinen.
    Er wagte es nicht, auch nur ein
einziges weiteres Wort zu äußern.
    »Danke«, sagte Neely und ging die
Verandastufen hinunter.
    Der kleine Vampir zögerte noch.
»Mein Name ist Danny. Wir sind praktisch Nachbarn«, sagte er. »Wir leben auf
dem Lakeview Trailer Court an der Schnellstraße. Mein Daddy ist dort
Hausmeister, und Tante Neely nacht die Zimmer sauber und bedient die Tische in
der Raststätte.«
    Das leise Erröten der Frau steigerte
Aidans Hunger ins Unerträgliche. Bevor er sich jedoch auf sie stürzen konnte,
knallte er die Tür zu und zwang sich zu einer blitzschnellen Flucht — weit fort
aus diesem Haus, in eine andere Zeit und an einen anderen Ort, wo er ohne
Gewissensbisse jagen konnte.
    Aidan wählte einen seiner
Lieblingsjagdgründe, einen armseligen Teil Londons aus dem neunzehnten
Jahrhundert, der als Whitechapel bekannt war. Dort, in den schmalen,
übelriechenden Gassen, suchte er sich seine Opfer, doch nicht unter den
Prostituierten, Taschendieben und Bettlern, sondern zwischen Kupplern, Sklavenhändlern
und Männern, die vom Opiumhandel lebten. Gelegentlich stellte er auch einem
bösartigen Trinker nach, oder einem Mann, der Frauen mißhandelte, oder einem
Vergewaltiger.
    Es waren immer die jeweiligen
Umstände, die bestimmten, ob die Opfer Aidans Gesicht sahen und ihr Schicksal
darin erblickten oder ob sie
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