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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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es kamen nur einzelne Tropfen, er stampfte, das tat im Knöchel weh.
    Auf dem Spiegel winzige Zahnpastapunkte, der Glasreiniger war unter der Spüle in der Küche, er müsste am Wohnzimmer vorbei.
     Er stellte den Zahnputzbecher und die rote Plastikdose, in der er über Nacht seine Brücke aufbewahrte, zurück auf den Waschbeckenrand.
     In dem Regal neben dem Waschbecken lagen hellgrüne Rasierseife, bartstoppelbeklebt, ein zerzauster Pinsel, Old Spice After
     Shave, die Seborin-Flasche, ein weiß-gelber Vaselinetiegel, der Deckel fettverschmiert, |36| eine eingestaubte Nivea-Dose, Q-Tips, ein Wattepaket.
    Ganz hinten, zum letzten Mal beim Umzug benutzt, lag zusammengesunken sein schwarzer Kulturbeutel. Er nahm ihn vorsichtig
     aus dem Regal, der Reißverschluss leistete keinen Widerstand, der Beutel war leer. Die Zahnpasta ließ er liegen, vielleicht
     hatte sie keine dabei; die rote Plastikdose verschwand zuerst in dem Beutel, dann seine Zahnbürste, die Rasierseife, Pinsel,
     Seborin, Vaseline, Rasierwasser, die Nivea-Dose wischte er mit Toilettenpapier ab, sie blieb im Regal, ebenso die ungeöffnete
     Kamillenhandcreme, die Watte und die Q-Tips.
     
    Sie war in der Küche, drehte sich zu ihm um, als er hereinkam, deutete auf die Regenfotos an der Wäscheleine.
    »Alles ist hässlich«, sagte sie.
    Ein paar sandige Kartoffeln lagen auf einer Zeitungsseite auf der Arbeitsplatte.
    »Ist die von heute«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf, öffnete den Hängeschrank über der Arbeitsplatte, stellte sich auf Zehenspitzen und spähte hinein.
    »Was suchen Sie?«
    »Lorbeer«, antwortete sie.
    »Habe ich nicht. Habe ich noch nie gebraucht«, er lehnte sich gegen den Türrahmen, sie könnte fragen, und er könnte ihr reichen,
     was sie benötigte.
    »Setzen Sie sich«, Frau Potulski zeigte auf einen seiner Küchenstühle, »Sie stören.«
    |37| Er verschränkte die Hände auf der Wolldecke, um nicht aufzustehen, sobald sie sich suchend nach etwas umsah. Sie nahm ein
     Glas mit löslicher Brühe aus dem Schrank, drehte den grünen Plastikdeckel auf, sah hinein, roch an der Öffnung, roch ein Mal,
     roch zwei Mal.
    »Die Brühe ist neu«, sagte er, sie stellte das Glas auf die Arbeitsplatte. Die Wand über dem Gasherd war vom Fett bräunlich
     verfärbt, seine Wohnung anders als sonst. Seine Wohnung war verwahrlost.
    »Schön«, sagte sie, deutete auf den Kalender an der Wand über dem Küchentisch, Almhütte mit rosa Kirschblüten, die Baumstämme
     nicht im Bild, nur die Blüten rechts und links. Er hatte ihn geschenkt bekommen, hatte keine Lust gehabt, dem Apotheker zu
     erklären, dass er ihn nicht wollte. Hatte genickt, als der Apotheker ihn lächelnd zu der Ischiassalbe in die Tüte schob. Schweigend
     hatte er die Tüte genommen und war gegangen, »Frohes Neues Jahr«, hatte der Apotheker hinter ihm hergerufen.
    Den Kalender wegzuwerfen, war Verschwendung. Er hatte lange gezögert, das Pedal des Mülleimers hinabgetreten, den Kalender
     in der Hand, der Abfall roch schimmlig. Er hatte vorgehabt, ihn zusammenzurollen, ihn auf die feuchten Teebeutel, auf die
     knirschenden Eierschalen zu drücken, er hatte den Fuß vom Pedal genommen, Wegwerfen war Verschwendung. Eine Weile dachte er
     darüber nach, das Bild abzuschneiden, nur den Kalender aufzuhängen, aber die Öse war oben am Bild befestigt, er hätte sie
     abschneiden und an den unteren Teil kleben müssen, das war zu umständlich.
    |38| »Sie kommen aus Rheinsberg«, begann er.
    »Aus Poznań eigentlich, aber gerade komme ich aus Rheinsberg«, Jana Potulski lächelte, sie nahm ein Bund Suppengrün aus der
     Schublade seines Kühlschranks.
    »Wohin ist die Familie, bei der Sie arbeiten, gefahren?«
    Ihre Fingernägel lösten die knisternde Haut einer Zwiebel, mit zwei raschen Schnitten entfernte sie Strunk und Spitze. »In
     die Türkei.«
    »Und wann?«
    Sie nahm ein Holzbrett aus dem Küchenschrank, »wann was?«, legte die Zwiebel darauf und halbierte sie.
    »Wann ist die Familie gefahren?«
    »Vorgestern.«
    »Und Sie?«
    »Gestern«, sie schnitt die Zwiebelhälfte in Streifen.
    »Warum erst gestern?«
    Aus den Streifen wurden kleine Würfel.
    »Ich habe noch ein Mal saubergemacht, und dann habe ich den Schlüssel zu den Nachbarn gebracht«, sie schob die Würfel beiseite.
    »Und die Familie besteht aus?«, er machte eine Pause.
    »Eltern und zwei Jungen«, sie nahm den Sparschäler aus der Schublade, griff nach der ersten Kartoffel.
    »Und die heißen«,
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