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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Wegtreten und
     nichts dazwischen.
    Die Dunkelkammer hatte er in die Speisekammer neben der Spüle eingebaut, Abseite, nannte sie die Maklerin bei der Wohnungsbesichtigung.
     Er hatte das längliche Fenster mit schwarzer Folie verklebt, einen Folienvorhang vor die Tür genagelt, hatte Leisten rechts
     und links in die Wand gedübelt, eine Spanplatte zurechtgesägt und auf die Leisten gelegt, Regalbretter darüber befestigt.
     Er hatte den neuen Belichter aus dem Karton genommen und ihn auf die Spanplatte gestellt, die Entwicklerschalen daneben, die
     Flaschen ins Regal geräumt, auch das Fotopapier, auf das er lange hatte |33| warten müssen. Danach war er ins Bett gekrochen, die Knie zittrig, die Handgelenke geschwollen und schmerzend.
     
    »Das ist die Dunkelkammer«, er schob Frau Potulski ein wenig zur Seite, griff an ihr vorbei, drehte den Schlüssel und zog
     ihn ab. »Da drin entwickle ich meine Bilder«, er steckte den Schlüssel in die Hosentasche, »da darf kein Licht rein, da darf
     niemand rein.«
    Frau Potulski sah zum Fenster, musterte die fest gespannte Wäscheleine, an der die Regenfotos hingen, und zuckte mit den Achseln.
     Sie ging in den Flur zurück, er blieb dicht hinter ihr. Sie wandte sich nach links, schaltete das Licht im Wohnzimmer ein.
    »Was ist das«, fragte sie und deutete auf die Pappschuber, die sich an der Wand hochstapelten.
    Er brauchte sechs Schuber pro Jahr, je einen für zwei Monate. Er bestellte sie immer zur Weihnachtszeit, als Sonderangebot,
     fünf musste er bezahlen, den sechsten bekam man umsonst. Es waren Kassetten aus schwarzer Pappe mit einem Schubfach zum Herausziehen.
     Vorn hatten sie ein kleines Sichtfenster, bei den älteren Kassetten aus glänzendem Metall, bei den neueren aus schwarzem Kunststoff.
     Er beschriftete die Sichtfenster nicht. Hüfthoch stapelten sie sich an der kurzen Seite des Wohnzimmers, mehr als sechzig
     waren es, dessen war er sich sicher, bei sechzig hatte er aufgehört nachzurechnen.
    »Fotos«, antwortete er, »sehen Sie«, er zeigte auf das Sofa, »sehen Sie, es ist viel zu klein.«
    |34| »Das reicht für mich«, sie drückte mit der Hand prüfend das braune Polster ein, nickte zufrieden.
    Breitbeinig stellte sie sich vor die rote Stehlampe, zog an der beigen Seidenkordel, eine der Birnen ging an, sie sah unter
     den Schirm.
    »Die anderen kaputt?«
    Er nahm ihr die Kordel aus der Hand, zog, zwei Birnen, zog noch mal, drei Birnen, zog noch mal, alle aus. Bei jedem Zug nickte
     sie wie ein kleines Mädchen, dem was beigebracht wird, »gut«, sagte sie, »gut.«
    »Sie müssen Ihre Schuhe ausziehen«, erwiderte er, »Sie machen die Dielen schmutzig«, er zeigte auf die schwarzen Rhomben.
    Sie kam auf Socken wieder, stellte behutsam die blaue Tasche neben das Sofa.
    »Frau Potulski«, sagte er, so laut er konnte, »Frau Potulski, Sie können nicht –«
    »Jana, nicht Frau Potulski, Jana bitte«, sie lächelte, »haben Sie ein Telefon?«
    Er nickte.
    »Darf ich telefonieren? Meine Schwester anrufen?«
    »Ja«, sagte er schnell, »ja natürlich, aber Sie können nicht auf dem Sofa –«
    »Wegen meinem Pass, ich muss wegen meinem Pass anrufen, verstehen Sie«, sie machte eine kurze Pause, »verstehen Sie, Hermann?
     Ich muss anrufen, damit meine Schwester einen neuen Pass schickt.«
    »Ja, natürlich versteh ich das«, sagte er ungeduldig, »das Telefon ist im Wohnzimmer, bitte.«
     
    |35| Er wartete, bis sie den Hörer abnahm, bis er leise das Freizeichen hören konnte, und ging ins Bad. Sie würde polnisch sprechen,
     er würde sie nicht verstehen. Er schloss die Tür ab, das tat er sonst nicht, kontrollierte zuerst das Toilettenbecken, es
     war weiß, sauber. Die Badewanne war um den Abfluss herum braun verklebt, graue Haare hingen im Sieb. Im Waschbecken eingetrocknete
     Fließspuren weißer Zahnpasta, er drehte den Wasserhahn auf, so dass ein dünnes Rinnsaal floss, das sie nicht hören konnte.
     Schwamm und Scheuermilch waren in dem Schränkchen unter dem Waschbecken, sein rechter Ärmel rutschte beim Putzen immer wieder
     runter, egal, wie hoch er ihn schob, sein Pulloverbündchen und die Hemdmanschette sogen sich mit Wasser voll. Er wurde wütend,
     er putzte wegen dieser Person sein Bad, wegen dieser Person, die er nicht eingeladen hatte. Die einfach mitgekommen war. Nein,
     die ihn einfach mit nach Hause genommen hatte, ihn in sein Zuhause mitgenommen hatte, als wäre es ihres. Er versuchte, den
     Pulloverärmel auszuwringen, doch
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