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Sieben

Sieben

Titel: Sieben
Autoren: Reinhard Schlueter
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zahlen « zu verknüpfen. Manch solche Verknüpfung lag buchstäblich auf der Hand – respektive an deren fünf Fingern. Auch verschafften
     die vier Mondphasen beziehungsweise deren siebentägiger Wechsel der Vier und der Sieben schon früh besondere Aufmerksamkeit.
     Hier wie bei vielen weiteren Zahlen war offenbar schon früh jener mathematische Urtrieb wirksam, von dem der Naturwissenschaftler
     Willy Hartner in seiner Publikation ›Zahlen und Zahlensysteme bei Primitiv- und Hochkulturen‹ spricht und den die U S-Neurologen Dimitrios Kapogiannis und Jordan Grafman aktuell bestätigen: »Das Gehirn ist geradezu zwanghaft darin, nach Erklärungen zu
     suchen!« Da es nun aber unmöglich sei, so die Wissenschaftler weiter, sämtliche Ereignisse und Nichtereignisse rationalen
     Ursachen zuzuordnen, neige unser Gehirn dazu, Rationales mit Nichtrationalem zu verknüpfen und in letzter Konsequenz auf Übernatürliches
     zu vertrauen.
    Dieser Makel wäre möglicherweise zu verschmerzen, litte unser Gehirn nicht an jener zusätzlichen physiologischen Beschränkung, die die Psychologin Anita Riess in dem Buch ›Psychologie der Zahl‹ so beschreibt:
Unsere natürlichen Fähigkeiten für die mengenmäßige Erfassung sind   … denen der Tiere, wenn überhaupt, kaum überlegen   … Obgleich der Mensch mit Hilfe von Symbolen unfehlbar genau mit Hunderten, sogar Millionen von Einzelheiten fertigwerden
     kann, ist er nicht fähig, genau zwischen Gruppen von mehr als sechs Einheiten zu unterscheiden, ohne dabei zu zählen.
    Um mit dem erwähnten »Erklärungsdrang« Schritt zu halten, bedient sich unser Gehirn also passender Symbole – allen voran Zahlen,
     Zeichen und Formeln. Warum – so mag sich mancher Theologe, Mystiker oder Philosoph schon früh gefragt haben – sollten etwa
     Zahlen, die bei der Bestimmung von Daten, Maßen und Abgaben so verlässliche Dienste leisten, nicht auch bei den essenziellen
     Menschheitsfragen Hilfe bieten? Etwa den Fragen nach dem Woher und Wohin oder nach unserer Bestimmung. Oder – im Sinne jenes
     neurologischen Erklärungsdrangs gefragt: Warum sollten Zahlen nicht dabei helfen, das Unerklärliche erklärbar zu machen?
    Tatsächlich bildeten sich im vorchristlichen Griechenland schon früh regelrechte Denkfabriken heraus, die nach entsprechend
     mathematisch-metaphysischen Antworten suchten – allen voran die »Pythagoräer« (nach dem griechischen Philosophen Pythagoras).
     Ähnlich verfuhren die »Orphiker« (nach dem mythischen Helden Orpheus) und die »Gnos tiker « (von griechisch gnosis = [Er-]Kenntnis). Dennoch sollte sich kaum ein Zahlenbezug der griechischen Antike als so nachhaltig
     erweisen wie der des griechischen Naturphilosophen Empedokles im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Er formulierte die Lehre
     von den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer.
    Beflügelt von dem Umstand, dass sich auch die Himmelsrichtungen offenbar an der Zahl Vier orientierten, stand fürviele altgriechische Geistesgrößen außer Frage, dass sich auch die sonstigen Fragen des Lebens mit der tetralogischen (griechisch:
     tétartos = Viertel, vierte) »Weltformel« beantworten ließen. Als besonders lebensfähig sollte sich dabei die »Viersäftelehre«
     des ägäischen Wanderarztes Hippokrates erweisen, der zufolge unser Körperinneres sich im Wesentlichen aus den vier Säften
     Blut, Schleim, schwarzer und gelber Galle zusammensetzt. Diese Anschauung wäre vermutlich bald in Vergessenheit geraten, hätte
     sie nicht der griechische Heilkundige Galenus medizintheoretisch untermauert und damit gleichsam bis an die Schwelle zur Moderne
     fortgeschrieben – abgeleitete Stichwörter wären beispielsweise Aderlass und die Viertemperamentelehre.
    Andere Vordenker der Antike – allen voran Aristoteles und Platon – dachten sich zu den vier weltlichen Elementen noch das
     spirituelle Element »Äther« beziehungsweise »Pneuma« (= Geist) dazu und gaben damit der Fünf in Europa, Nordafrika und Kleinasien
     ähnlich spirituelles Gewichtwie sie es in Ostasien längst hatte. So hatten etwa die »Fünf Klassiker« des Konfuzianismus den Chinesen schon Jahrhunderte
     zuvor die gemeinsame Denkrichtung vorgegeben. Dass es daneben in Wahrheit nicht vier, sondern fünf Himmelsrichtungen gebe,
     wobei die fünfte keineswegs »als fünftes Rad am Wagen«, sondern – weil im Zentrum gelegen – sogar als die zentrale und somit
     wesentliche anzusehen sei, galt im »Reich der Mitte« als ebenso
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