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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer
Autoren: Kai Meyer
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Hügelland. Irgendwo auf den Weiden zwischen der Stadtmauer und dem alten Bahndamm musste die rätselhafte Schattenshow zu finden sein.
    Ab und an blickte Lisa auf ihren rechten Unterarm, aber dort erschien keine Spur der Sieben Siegel. Sie würden nur sichtbar werden, wenn eine Gefahr durch die Mächte des Bösen drohte. Schon fasste Lisa die Hoffnung, einfach nur einen netten Nachmittag allein mit Chris zu verbringen. Während all der Zeit, die sie sich kannten, hatten sie nie etwas ohne Kyra und Nils unternommen. Eigentlich wurde es höchste Zeit, fand Lisa – auch wenn sie der Gedanke ein wenig nervös machte. Sie fragte sich, was Kyra wohl dazu sagen würde.
    Selbst schuld, dachte Lisa. Was verkroch Kyra sich auch den lieben langen Tag hinter irgendwelchen alten Büchern im Stadtarchiv.
    Zwanzig Minuten später waren sie die meisten Feldwege abgefahren, die sich zwischen den buschigen Begrenzungshecken der Weiden dahinschlängelten. Das Ergebnis war eine herbe Enttäuschung. Nirgends gab es einen Hinweis auf die mysteriöse Show.
    »Vielleicht hab ich mich geirrt«, knurrte Lisa. »Möglicherweise bedeutet rechts vom Mond etwas ganz anderes.«
    Chris furchte die Stirn. »Ich weiß nicht – irgendwie klingt das doch ganz logisch, oder?«
    Lisa ärgerte sich, dass die Lösung des Rätsels sie nicht weitergebracht hatte. Zu gerne hätte sie Chris beeindruckt. »Vielleicht ist Mitternacht auch nur die Uhrzeit, zu der die Show beginnt«, schlug sie vor.
    »Was für eine Show fängt denn mitten in der Nacht an? Da kommt doch kein Mensch.«
    »Hängt davon ab, was geboten wird. Wenn die Ankündigung geheimnisvoll genug klingt und die Leute neugierig macht …«
    Chris zog erneut den Zettel aus der Hosentasche und strich ihn glatt. »Neugierig macht sie auf jeden Fall. Sonst wären wir jetzt nicht hier, schätze ich.«
    Sie standen mit ihren Fahrrädern am Rande der Kieselwiese, einer buckligen Viehweide, die ihren Namen dem steinigen Boden verdankte. Damals, beim Angriff der Vogelscheuchen auf Giebelstein, hatten sie hier das erste Opfer entdeckt, ein totes Schaf.
    Jenseits der Kieselwiese erhoben sich der stillgelegte Bahndamm und dahinter das alte Hügelgrab, in dem die vier sich manches Mal verkrochen, wenn sie die Erwachsenen und den ganzen Rest von Giebelstein satt hatten. Hin und wieder kamen sie auch einzeln her, um zu lesen oder einfach nur für sich zu sein.
    Jetzt waren allerdings weder der Bahndamm noch das Hügelgrab zu erkennen. Der Nebel hüllte beides in grauweiße Watte.
    Chris schaute sich nach allen Seiten um. Er hatte die Stirn gerunzelt. »Bei dem Nebel ist es, als wäre man ganz allein auf der Welt.«
    »Am schlimmsten finde ich, dass er alle Geräusche schluckt. Es ist so schrecklich still.« Wie tot, fügte sie in Gedanken hinzu.
    »Könnte es sein, dass wir die Show deshalb nicht finden? Weil wir sie nicht hören können?«
    »Aber wir haben doch alles abgesucht.«
    »Nicht die Wiesen hinter dem Bahndamm.«
    »Na ja, da führt auch keine Straße hin. Nur ein paar Feldwege. Und dann kommt schon der Waldrand.« Lisa fröstelte bei dem Gedanken an die tiefen, dunklen Wälder nördlich der alten Bahnlinie. Niemand ging gerne dort hin. Es waren keine Wälder, um Spaziergänge zu machen; sogar die Jäger der Umgebung mieden sie. Das Unterholz war dicht und verwoben, und die Baumkronen schienen jeden Lichtstrahl abzufangen, bevor er den Waldboden erreichte.
    »Lass uns wenigstens hoch auf die Schienen klettern und nachschauen«, schlug Chris vor.
    »Wir werden sowieso nichts sehen«, widersprach Lisa, stieg aber schon von ihrem Rad. »Nicht bei diesem Nebel.«
    Chris zog nur die Schultern hoch und legte sein Fahrrad neben die Hecke am Rand der Kieselwiese. Lisa kippte ihres daneben. Rahmen und Räder verschwanden in den Brennnesseln.
    Gemeinsam stapften sie durch das taufeuchte Gras hinüber zum Bahndamm.
    Die steile Schräge war mit Brombeersträuchern und anderen Büschen bewachsen. Es war nicht ganz leicht, hinaufzuklettern, ohne sich die Haut an Dornen und spitzen Zweigen aufzureißen. Zwar gab es ein Stück weiter westlich einen Trampelpfad, den sie immer dann benutzten, wenn sie zum Hügelgrab gingen, aber von hier aus war der Umweg zu groß.
    »Warte!« Lisa blieb auf halber Höhe der Schräge stehen.
    »Was ist?«, fragte Chris, sah es aber im nächsten Moment schon mit eigenen Augen.
    Viele Jahre lang hatten die alten Bahngleise brachgelegen. Kein Zug war hier gefahren, und die Natur hatte
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