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Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen
Autoren: Kai Meyer
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»Sie wissen Bescheid über die Sieben Siegel, oder?«
    Die anderen sahen sie erschrocken an, aber sie achtete nicht darauf. Sie war überzeugt, dass Herr Fleck von weit mehr Dingen wusste, als er zugeben wollte.
    Der Archivar lächelte geheimnisvoll. »Vielleicht.« Er schlug abrupt das schwere Buch zu und verschwand einen Moment lang hinter einer Staubwolke. »Aber darum geht es im Augenblick nicht. Lasst uns bei diesem Boralus bleiben. Und bei den Vogelscheuchen.«
    Kyra schluckte und räusperte sich. »Haben Sie noch mehr über ihn rausgefunden? Wo kam er her? Was geschah später mit ihm?«
    »Woher er kam, weiß ich nicht. Auch habe ich nirgends einen Vermerk über seinen Tod gefunden. Wenn es nach den alten Chroniken geht, könnte er genauso gut immer noch durch Giebelstein spuken.« Herr Fleck hatte die letzte Bemerkung als Scherz gemeint, aber allen lief bei diesem Gedanken ein eisiger Schauer über den Rücken. »Das könnte er tatsächlich, nicht wahr?«, fügte der Archivar dumpf hinzu. »Umherspuken, meine ich.«
    »Wer weiß«, flüsterte Chris.
    Lisa verschränkte die Arme vor der Brust und massierte mit den Händen ihre Oberarme.
    »Warum ist es hier unten eigentlich so kalt?«, beklagte sie sich.
    Über Herrn Flecks Gesicht zuckte sein vergilbtes Grinsen. »Nach ein paar Jahrzehnten hier unten spürst du das nicht mehr.«
    »Also«, sagte Kyra entschieden, »was ist nun? Gibt es noch mehr Informationen über Boralus?«
    »Ich weiß, wo er gelebt hat«, antwortete der Archivar. »Das Haus steht noch immer.«
    »Echt?«, platzte Nils heraus.
    »Es ist ein alter Hof im Wald«, erklärte der Archivar. »Natürlich ist er in der vergangenen Jahrhunderten mehrfach umgebaut worden. Einmal, um 1790, ist er sogar bis auf die Grundmauern abgebrannt. Aber einzelne Teile sind immer noch dieselben wie damals, als Boralus dort lebte – ein paar Mauerbruchstücke, der alte Brunnenschacht, Teile des Kellers. Außerdem ist noch etwas zur späteren Geschichte des Hauses überliefert: Die Besitzer haben immer alleine dort gelebt und galten als seltsame Eigenbrötler.«
    Chris unterbrach ihn aufgeregt: »Nehmen wir mal an, Boralus steckt hinter den Vogelscheuchen. Dann könnte der Schlüssel zu diesem Rätsel doch in seinem Haus zu finden sein. Oder bei dessen jetzigem Besitzer.«
    Kyra schaute auf die alte Karte. »Ist es das hier?« Sie deutete auf eine Stelle der Karte, nicht weit vom Grab der Pesttoten entfernt. Dort war ein winziges Haus eingezeichnet.
    »Woher weißt du das?«, erkundigte sich der Archivar irritiert.
    »Ich hab’s mir … gedacht«, gab sie stockend zurück. In Wahrheit hatte sie selbst nur eine vage Vermutung, wie sie darauf gekommen war. Wieder ein Überbleibsel des Erbes ihrer Mutter. Manchmal machten ihr diese fremden Erinnerungen wirklich Angst.
    »Das ist der Hof«, bestätigte Herr Fleck nach einem letzten Seitenblick auf Kyra und legte seinen schwarzsamtigen Zeigefinger über das Symbol auf der Karte.
    »Den kenn ich«, sagte Nils. »Ich hab mal Zeitungen ausgetragen –«
    »Genau drei Tage lang«, unterbrach Lisa ihn gehässig.
    Nils schnitt seiner Schwester eine Grimasse.
    »Auf jeden Fall war ich damals draußen auf dem Hof. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Ich hab schnell die Zeitung hingeschmissen und bin wieder abgehauen.«
    »Wissen Sie, von wem der Hof heute bewirtschaftet wird?«, fragte Chris.
    »Er gehört einem Bauern«, sagte der Archivar. »Samuel Wolf ist sein Name. Er ist allein stehend und hat keine Kinder.«
    »Nie gehört«, sagte Lisa.
    Kyra schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht.«
    »Wolf kommt nicht oft in die Stadt«, sagte Herr Fleck. »Er hat ein paar Felder am Waldrand, die er bewirtschaftet. Kaum jemand in Giebelstein weiß Genaueres über ihn.«
    Chris seufzte und sah Nils an. »Wie lange brauchen wir mit den Rädern bis zu diesem Hof?«
    »’ne knappe halbe Stunde, schätze ich.«
    »Wartet«, warf Kyra ein. »Ich finde, wir sollten uns trotz allem erst mal dieses Grab angucken. Oder das, was davon übrig ist.«
    »Sag bloß, du willst ’nen Spaten mitnehmen?«, flachste Nils.
    Kyra lachte nicht. Lächelte nicht einmal.
    »Denkst du denn wirklich, dass das noch nötig ist?«

Im Pestgrab
    Keiner von ihnen war je zuvor so tief in den Wald vorgedrungen.
    Die Stelle, an der das Grab auf der Karte eingezeichnet war, lag weit abseits der einsamen Waldwege. Die Freunde schoben ihre Fahrräder ins dichte, dornige Unterholz, wo man sie auf Anhieb nicht
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