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Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Titel: Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann
Autoren: Kai Meyer
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Karfunkel, das Gerede der Leute über das Aussehen seiner Warte herzlich gleichgültig. Er und sein kleines Team aus Weltraumforschern betrieben die Anlage nun schon seit einigen Jahren und hatten in dieser Zeit bereits so manche Entdeckung gemacht, die Wissenschaftler in der ganzen Welt vor Neid erblassen ließ.
    Die wichtigste von allen aber, die spektakulärste und durch und durch ungewöhnlichste, war zweifellos die vom plötzlichen Verschwinden des Mannes im Mond – und seiner unerwarteten Rückkehr nach nur wenigen Stunden.
     

Jedermann – jedes Kind und ganz gewiss jeder Wissenschaftler – wusste natürlich, dass der so genannte Mann im Mond nichts anderes war als eine Ansammlung von Schatten und Kratern auf der Oberfläche des Erdtrabanten.
    Für die Menschen, die mit bloßem Auge zum Mond emporschauten, mochten diese dunklen Strukturen die Form einer menschlichen Gestalt haben, einer Gestalt mit einem Bündel Zweige auf dem Rücken. Für die Forscher der Sternwarte aber, die den Mond mit dem Teleskop so nah heranholen konnten wie andere Leute die Krümel auf ihren Frühstückstellern, war der Mann im Mond nur ein Ammenmärchen, das sie belächelten und ihren Kindern vor dem Schlafengehen erzählten.
    Dass ausgerechnet diese Männer und Frauen, gewaschen mit allen Wassern der Wissenschaft, das Verschwinden des Mannes im Mond feststellen mussten, war für einige von ihnen unerklärlich, für andere schier unglaublich.
    Keiner aber war fassungsloser als Doktor Julius Karfunkel persönlich. So etwas war weder ihm noch irgendwem, von dem er gehört hatte, jemals vorgekommen.
    Die Oberfläche des Trabanten war leer gewischt, von allen Schatten und dunklen Flecken bereinigt, wie eine Suppenschüssel nach dem letzten Spülgang.
    Doktor Karfunkel mochte es drehen und wenden, wie er wollte – es gab einfach keine wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen. Es war fast, als hätten Außerirdische auf dem Mond starke Scheinwerfer aufgestellt und damit jeden dunklen Winkel ausgeleuchtet. Eine Lösung übrigens, die dem Doktor kaum weniger fantastisch erschien als jede andere, die er und seine Kollegen in der Sternwarte diskutiert hatten.
    Doktor Karfunkel war ein Mann, der fest an Leben auf fremden Planeten glaubte. Er war sicher, dass Ufos in unsere Atmosphäre vorstießen und dass immer wieder Menschen von Wesen aus dem All entführt und untersucht wurden.
    Hätte man ihm allerdings von Hexen erzählt, von der magischen Macht des Arkanums und der Tatsache, dass der Mann im Mond eben doch sehr viel mehr war als nur eine Zusammenballung von Schatten in einem Ozean endloser Staubwüsten – nun, er hätte sich wohl geschüttelt vor Lachen.
    Kein Wunder also, dass er nichts Böses dachte, als er zwei Nächte nach dem unerklärlichen Vorfall ganz allein in seiner Sternwarte saß und mit scharfem Blick die Oberfläche des Mondes studierte.
    In wenigen Stunden würde die Morgendämmerung anbrechen, die letzten Mitarbeiter lagen längst zu Hause in ihren Betten. Doktor Karfunkel saß auf einem Stuhl inmitten des Stahlgerüsts, auf dem tonnenschwer das gewaltige Teleskop ruhte. Kameras übertrugen die eingefangenen Bilder der Mondoberfläche auf mehrere Bildschirme. Alles wurde aufgezeichnet, jede Abweichung von der Norm vollautomatisch von Computern durchgerechnet und in Form von komplizierten Diagrammen und Zahlentabellen ausgedruckt.
    Aber Doktor Karfunkel hatte keinen Blick übrig für die Schlangen aus Endlospapier, die seine Drucker in überfüllte Auffangkörbe spuckten. Seine Augen starrten gebannt auf die flimmernden Monitore.
    Tiefes Schweigen lag über der Sternwarte. Die stählernen Säle und Korridore waren menschenleer, nur hier und da piepste ein elektronisches Gerät oder summte ein Laserdrucker.
    »Das kann nicht sein«, entfuhr es dem Doktor nunmehr zum dritten Mal, seit er die neuerliche Veränderung auf der Oberfläche des Mondes bemerkt hatte.
    Es war anders als vor zwei Tagen. Diesmal wurde nicht auf einen Schlag die gesamte Mondkugel von Helligkeit überflutet. Nein, diesmal war nur ein winziges Stück Schwärze in Bewegung geraten, ein Schatten, der auf dem Monitor nicht größer war als der Daumennagel des Doktors. Es handelte sich um einen Splitter aus Dunkelheit, der eben noch Teil eines Schattenmassivs am Rande des Kraters Kopernikus gewesen war, südlich des Mare Imbrium.
    Im ersten Moment glaubte der Doktor, es müsse sich um ein Stück Mondgestein handeln – mehrere Kilometer im
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