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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
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Jette lugte
unter der Decke hervor und wollte ihren Augen nicht trauen, denn da saß Tante
Fränzchen im Bett und hatte einen Schuh im Arm und eine Träne im Auge, derweil
der Wubbel im Schlafanzug neben ihr kauerte und erwartungsvoll erst unter ihr
Kopfkissen und dann in die Nachttischschublade schaute.
    »Was ist das für ein Schuh?«
    Früher hätte Fränzchen mit einem
scharfen: »Das geht dich gar nichts an!« geantwortet. Heute aber, von Liebe und
Trennungsschmerz geläutert, ließ sie nur das Corpus delicti unter der Bettdecke
verschwinden, warf einen unschuldsvollen Blick zu Jette hinüber und fragte
sanft: »Von welchem Schuh bitte sprichst du?«
    Der Wubbel, nachdem er im Bett der
einen Tante nichts gefunden, krabbelte unverzüglich in das der anderen, suchte
dort emsig weiter und erklärte dabei, was es mit diesem Schuh auf sich habe,
daß er ihn nämlich aus dem Zimmer des Mannes geholt, der kein Räuber sei und
der ihm morgen oder übermorgen viele, viele Mäuse schicken wolle.
    Jette richtete sich auf, um einen
besseren Überblick zu gewinnen.
    »Hast du was reingetan in den Schuh?«
    Jetzt verlor Fränzchen doch etwas an
Abgeklärtheit. »Warum denn nicht?« stieß sie hervor. »Man wird doch noch ein
Späßchen machen dürfen!«
    »Was denn, was hast du denn reingetan?«
    »Das geht dich...«, begann Fränzchen
nach alter Manier, doch dann bremste sie ab, besann sich eines besseren und
sprach: »Einen Brief!«
    »Un Sotolate!« rief der Wubbel und
machte ganz sehnsüchtige Augen.
    Henriette ließ sich zurückfallen und
zog die Decke über die Ohren. Sie gedachte des Yogi und ihrer
Seelenverwandtschaft und wie das Leben so traurig sei und die Tante so blöd. In
tiefem Weltschmerz und in Menschenverachtung schubste sie den Wubbel aus dem
Bett. Der nahm Stoß und Fall klaglos hin, denn diese Jette war offenbar krank.
Wie konnte sie sich sonst von ganz alleine wieder schlafen legen? Er, der
Wubbel, kannte nichts Schlimmeres als Schlafen-Müssen und nichts Schöneres als
Aufstehn-Dürfen. Draußen passierten die tollsten Sachen und im Bett überhaupt
nichts.
    In sein Kopfschütteln hinein flüsterte
Tante Fränzchen: »Hier, Wubbel, bring ihn wieder rüber! Stell ihn vors Bett!
Aber leise, leise.«
    Er nahm den Schuh in Empfang,
allerdings nicht ohne die Tante traurig anzublicken, denn ein kleines Stückchen
Schokolade hätte er wohl erwarten dürfen nach allem, was er bisher getan. Aber
die Tante hatte keinen Gedanken übrig für kleine Jungens und für das, was ihnen
Freude machte. Die Tante dachte an ganz andere Sachen, das hatte der Wubbel
schon längst gemerkt, und es mißfiel ihm sehr! Ärgerlich trottete er zur Tür.
    »Willst en Kaugummi?« klang es dumpf
unter Jettes Bettdecke hervor.
    Und wie er wollte! Schon stand er da
und streckte die Hand aus. Jette legte einen Kaugummi hinein und wisperte,
genau wie vorhin Tante Fränzchen: »Bringst du mir ‘nen Schuh vom Yogi?«
    Er brachte den einen Schuh hin und
holte den anderen her, obwohl er sich sehr wundern mußte über die seltsamen
Wünsche dieser Tanten.
    Yogis ausgelatschter Riesenstiefel war
viel schwerer zu tragen als der andere Schuh. Der Wubbel mußte ordentlich
schnaufen, als er ihn über den Gang schleifte, und dann kam auch noch Tante
Gitti daher und verstellte ihm den Weg.
    »Woher hast du den Knobelbecher? Darfst
du den einfach wegnehmen? Wer hat das erlaubt?«
    Aber der Wubbel hatte keine Zeit für
lange Erklärungen. Er murmelte etwas von »Nitolaustach« und »Sotolate«, drückte
sich an der Tante vorbei und verschwand im Zimmer der beiden verliebten
Jüngferlein.
    Nun saß zur Abwechslung Jette im Bett
und schrieb mit Mühe und einem abgeknabberten Bleistift den ersten Liebesbrief
ihres Lebens. Als sie das Werk vollendet hatte, nahm sie das Silberkettchen vom
Hals, das dort seit ihrer Konfirmation gehangen. Das Kettchen mit dem Medaillon
daran und dem Bild ihres Vaters. Ach, die Zeit war längst entschwunden, da er
noch der einzige Mann gewesen, dem ihr Herz gehörte. Sie schnipste sein Bild
aus dem Medaillon. In Uniform stand er da, die Haare kurz geschnitten, die
Stiefel blank, stramm und schneidig. Hatte sie jemals so etwas gemocht? Vor
Jettes innerem Auge erstand der Yogi, langmähnig, schlampig, schmuddelig. Wie
er auf der Gitarre klimperte, wie er seines Weges latschte, wie er den Arm um
sie legte... Jettes Wangen brannten heiß vor Liebe. Achtlos ließ sie das Bild
des Vaters auf den Boden flattern. Dann schaute sie an sich
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