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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad
Autoren: Agatha Christie
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verstreut, ein Kamel, ein Flugzeug, einen Dampfer, einen kleinen puffenden Eisenbahnzug – alle auf den Kreis ausgerichtet. Schließlich zeichnete er in eine Ecke des Löschpapiers ein Spinnennetz und in die Mitte des Spinnennetzes schrieb er einen Namen: »Anna Scheele.« Darunter setzte er ein großes Fragezeichen.
     
    In einem großen Büro eines New Yorker Wolkenkratzers saß ein Mann an einem Schreibtisch.
    »Haben Sie den Bericht über das Krugendorf-Vermögen, Miss Scheele?«
    »Ja, Mr Morganthal.«
    Miss Scheele, ruhig und tüchtig, legte die Papiere vor ihren Chef auf den Tisch.
    Während er las, brummte er: »Ich glaube – ganz befriedigend.«
    »Ganz meine Ansicht, Mr Morganthal.«
    »Ist Schwartz hier?«
    »Er wartet im Vorraum.«
    »Schicken Sie ihn gleich herein.«
    Miss Scheele drückte auf einen Knopf – einen von sechs – und sagte: »Brauchen Sie mich noch, Mr Morganthal?«
    »Nein, ich glaube nicht, Miss Scheele.«
    Anna Scheele glitt lautlos zur Tür. Sie war zwar platinblond, aber kein Glamourgirl. Ihr blondes Haar trug sie straff aus der Stirn gekämmt und zu einem glatten Knoten im Nacken verschlungen; ihre blassblauen, klugen Augen blickten hinter starken Gläsern in die Welt. Sie hatte regelmäßige, klare Züge, aber ihr Gesicht schien völlig ausdruckslos. Ihren Weg in der Welt hatte sie nicht durch Charme, sondern allein durch Tüchtigkeit gemacht. Sie behielt alles im Kopf, auch das Komplizierteste, und konnte Namen, Daten und Termine auswendig anführen, ohne in ihren Notizen nachzusehen. Sie konnte den Stab eines großen Büros so organisieren, dass er wie eine gut geölte Maschine funktionierte.
    Otto Morganthal, Chef der angesehenen Firma Morganthal, Brown & Schipperke, internationales Bankhaus, war sich bewusst, dass Anna Scheeles Dienste nicht mit Gold aufzuwiegen waren.
    Sie kannte nicht nur die Details seiner Geschäfte, sondern auch die Details seines Privatlebens. Als er sich in der Angelegenheit der zweiten Mrs Morganthal mit ihr beraten hatte, hatte sie zur Scheidung geraten und die genaue Höhe der Unterhaltszahlungen vorgeschlagen. Sie hatte weder Anteilnahme noch Neugier gezeigt, das lag ihr nicht. Er glaubte nicht, dass sie irgendwelche Gefühle hatte, und es war ihm nie eingefallen, sich zu fragen, woran sie dachte. Er wäre in der Tat höchst erstaunt gewesen, hätte man ihm gesagt, dass sie irgendwelche Gedanken hatte, die sich nicht auf Morganthal, Brown & Schipperke oder auf die Probleme von Otto Morganthal bezogen.
    Daher traute er seinen Ohren nicht, als sie, im Begriff das Büro zu verlassen, sagte: »Ich möchte gern, wenn möglich, drei Wochen Urlaub haben, Mr Morganthal, ab nächsten Dienstag. Ich möchte nach London fahren, um meine Schwester zu sehen.«
    »Ihre Schwester?« Sie war letzten Herbst mit ihm in London gewesen, ohne je zu erwähnen, dass sie eine Schwester hatte. Er sagte etwas gekränkt: »Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Schwester in England haben.«
    Miss Scheele lächelte ganz leicht: »O ja, Mr Morganthal. Sie ist mit einem Engländer verheiratet, der mit dem British Museum in Verbindung steht. Sie muss sich einer sehr ernsten Operation unterziehen und möchte mich bei sich haben. Ich würde gern fahren.«
    Kurz, Mr Morganthal sah, dass sie entschlossen war. Er brummte: »Schön, schön … kommen Sie so bald wie möglich zurück. Der Markt war noch nie so unruhig. Das ist dieser verfluchte Kommunismus. Das ganze Land gärt – gärt, sage ich. Und jetzt hat sich der Präsident entschlossen, zu dieser närrischen Konferenz nach Bagdad zu fliegen. Meiner Meinung nach eine abgekartete Sache. Sie haben es auf ihn abgesehen. Bagdad! Von allen ausgefallenen Plätzen gerade Bagdad!«
    »Oh, ich bin überzeugt, er wird sehr gut bewacht werden«, meinte Miss Scheele beruhigend.
    »Der Schah von Persien war gut bewacht, Bernadotte in Palästina war gut bewacht, und doch wurden beide ermordet. Es ist Wahnsinn – reiner Wahnsinn, das ist es – aber«, fügte Mr Morganthal düster hinzu, »die ganze Welt ist wahnsinnig.«

2
     
    V ictoria Jones saß auf einer Bank in Fitz James Gardens in London. Sie war ganz in Gedanken versunken – man könnte fast sagen in moralische Betrachtungen – über die Nachteile, seine Talente im falschen Moment leuchten zu lassen.
    Victoria hatte wie die meisten von uns sowohl gute wie schlechte Eigenschaften. Sie war freigebig, warmherzig und tapfer. Ihr Hauptfehler war eine Neigung, in geeigneten und
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