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Sie fielen vom Himmel

Sie fielen vom Himmel

Titel: Sie fielen vom Himmel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schluckend.
    »Weimann?« Dr. Pahlberg kniete neben der Zeltplane nieder und sah in das gelbe Gesicht des jungen Leutnants. Bei jedem schwachen Atemzug schäumte es blutig über die farblosen Lippen.
    »Lungenschuß.«
    »Ja, Herr Stabsarzt. Vier Stück. Eine MG-Garbe.«
    Pahlberg nickte. »Es ist gut.«
    Bergmann und Müller 17 blieben neben Weimann stehen. Dr. Pahlberg hob den Kopf. »Was ist denn noch?«
    »Wird der Leutnant sterben?« stotterte Müller 17. Seine Augen waren wässerig.
    »Das weiß ich nicht. Geht jetzt.«
    »Mit vier Lungenschüssen …«
    »Es sieht böse aus. Aber jetzt 'raus!«
    Langsam verließen Bergmann und Müller 17 den OP-Raum. Auf dem Flur trafen sie auf Krankowski, der neue Lagen Zellstoff holte.
    »Wen habt ihr gebracht?« fragte er im Vorbeilaufen.
    »Weimann!«
    »Den Leutnant? Was denn?!«
    »Vier Lungenschüsse …«
    Krankowski sagte nichts mehr und rannte weiter. Müller 17 sah Bergmann an. Sie wußten genug. Mit verbissenen Gesichtern verließen sie das Lazarett. Sie krochen durch das Granatwerferfeuer der Polen zur Mauer und suchten Feldwebel Maaßen. Er lag mit seinem MG und Oberfeldwebel Michels an einer Mauerlücke und kämmte alles nieder, was nur den Kopf über die Felsen hob.
    »Weimann ist gefallen!« keuchte Müller 17, als er sich neben Maaßen warf. Einen Augenblick unterbrach Maaßen seinen Kugelregen.
    »Weimann? Seit Korinth war er bei uns. Donnerwetter!« Er drückte auf den Abzug und feuerte über den Abhang. Einer nach dem anderen, dachte er dabei. Wann kommen wir dran? Heute, morgen, übermorgen? Oder jetzt gleich? Einmal wird's sein … wir sehen die Heimat nicht wieder, wir nicht von der 3. Kompanie. Vielleicht taugen wir auch gar nicht mehr für die Heimat, vielleicht nur noch fürs Sterben? Das muß es auch geben … das hat es seit Jahrhunderten gegeben … Gladiatoren, die vor dem Sterben riefen: Salve, imperator. Morituri te salutant!
    Wut überkam ihn, Wut über sein sinnloses Schicksal. Er jagte seine MG-Salven hinaus, als verschösse er sein Herz. Durch dieses Mauerloch würde kein Pole stürmen …
    In dem kleinen Raum des Fra Carlomanno lag Leutnant Alfred Weimann auf einem Strohsack. Renate kniete neben ihm und tupfte ihm den blutigen Schaum von den Lippen. Pahlberg hatte ihm eine Morphiumspritze gegeben. Er war danach ruhiger geworden und sah mit starren Augen an die dunkle Decke der Zelle.
    »Wasser«, murmelte er mühsam. »Wasser! Bitte Wasser.«
    Renate feuchtete ein Mull-Läppchen mit Wasser an und tupfte ihm die aufgesprungenen Lippen ab. Sein Kopf war glühend heiß, er brannte im Fieber und erkannte mit seinen weit aufgerissenen Augen nicht mehr seine Umgebung. »Wasser!« röchelte er immer wieder. »O Wasser! Wasser!«
    Dr. Pahlberg kam aus dem OP-Zimmer und sah nach Renate. Sie wusch Weimann den Mund aus. »Wie geht es?« fragte er leise.
    »Er ruft dauernd nach Wasser.«
    »Gib ihm einen geriebenen Apfel, Renate.«
    Erstaunt sah sie auf. »Aber er darf doch nicht –« Sie stockte.
    Pahlberg winkte schwach ab. »Gib es ihm«, sagte er leise. »Gib ihm alles, was er will. Er darf alles haben …« Er wandte sich schnell ab und verließ wieder das Zimmer.
    Armer Alfred Weimann, dachte sie. Sie tupfte wieder das Blut von seinen Lippen und strich ihm die Haare aus der Stirn. Fünfundzwanzig Jahre alt. Jurastudent im 2. Semester … da kam der Krieg. Vielleicht wäre er ein guter Richter geworden … er hielt viel auf Ordnung und Gerechtigkeit. Er konnte nie begreifen, daß Hauptmann Gottschalk sagte: ›Was immer wir auch tun, Weimann – vor der Geschichte ist der Deutsche immer der Schuldige! Wir brauchen uns da gar nicht zu bemühen – das tun schon die anderen!‹ Für ihn war das Recht der sittliche Halt der Weltordnung – daß er bei deren Zerfall mit zugrunde ging, war die logische Konsequenz seiner inneren Einstellung.
    Renate wollte sich erheben, um einen Apfel zu reiben und ihn zwischen die Lippen zu löffeln, als seine Hand vorzuckte, ihr Handgelenk ergriff und mit unvorstellbarer Kraft zu sich hinüberzog. Seine weit aufgerissenen Augen sahen sie starr an – aber sie sahen durch sie hindurch in einen Raum, den nur er erkannte.
    »Inge!« sagte er laut. »Inge – bleib bei mir! Hörst du, du mußt bleiben.« Er zog Renate zu sich und fuhr mit der anderen Hand tastend durch ihr Haar. Ein Frieren durchlief ihren Körper, ein Frieren des Entsetzens und der Erschütterung. »Ich bin ja da, Alfred«, sagte sie heiser. »Das ist
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