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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dass Pawel hingerichtet worden war, zusammen mit dreien seiner Männer, die an dem Komplott gegen die Verbrechergemeinschaft beteiligt gewesen waren. Sie hatten sie an die Bäume im Park vor dem Polizeiposten von Tiraspol gebunden und ihnen Nägel in die Köpfe geschlagen.
    Es ging das Gerücht, hinter dem Komplott hätte diePolizei gestanden, sie wollte die Verbrechergemeinschaft in unserer Stadt schwächen. Fünf Jahre später sollte es ihnen dann gelingen, als sie viele junge Kriminelle gegen die Alten aufwiegelten und dadurch einen blutigen Krieg entfachten, der der Anfang vom Ende unserer Gemeinschaft war, die heute in der Form wie zur Zeit dieser Geschichte nicht mehr existiert.

    Großvater Kusja starb drei Jahre später an Altersschwäche, und sein Tod löste – zusammen mit anderen Ereignissen – ein Erdbeben innerhalb der sibirischen Gemeinschaft aus. Viele Kriminelle alter Schule waren unzufrieden mit dem Regime von Militär und Polizei, das mittlerweile im Land herrschte, und verließen Transnistrien: Sie kehrten nach Sibirien zurück oder emigrierten in ferne Länder.
    Mein Vater ging nach Griechenland, wo er fünf Jahre im Gefängnis saß, und lebt heute in Athen.
    Der alte Pflaume lebt noch und sitzt immer noch in seinem Café; seit einiger Zeit ist er schwerhörig und schreit nur noch. Seine Enkelin, die den besten Apfelkuchen der Stadt backte und eine gute Freundin von mir war, hat einen anständigen Kerl geheiratet, der PC-Zubehör verkauft, und zog mit ihm nach Wolgograd.
    Für Onkel Fedja hatte die Machtübernahme in Transnistrien schlimme Folgen: Bis zuletzt stemmte er sich dagegen und versuchte mit aller Kraft, die Kriminellen zum Kämpfen zu überreden, aber dann gab auch er auf und ging nach Sibirien, in ein kleines Dorf an der Lena, wo er immer noch als Heiliger aktiv ist.
    Barbos wurde zu einer wichtigen Figur innerhalb der Verbrechergemeinschaft: Er schloss einen Pakt mit der Polizei, was ihm einen enormen Machtzuwachs in der Stadt einbrachte, in der die Tschornaja mast die einzige Kaste ist, die von der Polizei beschützt und von allenanderen gehasst wird, aber niemand kann etwas dagegen tun, weil sie nun mal das Sagen haben und alle Gefängnisse und alle kriminellen Geschäfte kontrollieren.
    Innerhalb der georgischen Gemeinschaft gab es einen blutigen Krieg, der die Jungen an die Macht brachte. Sie waren nationalistisch eingestellt und hatten deshalb ständig Streit mit den Armeniern, mit denen sie sich bis heute im Krieg befinden. Mino wurde in diesem Krieg getötet, sie erschossen ihn, als er gerade vor dem Krankenhaus vorfuhr, in dem seine Frau einen Sohn geboren hatte. Es war ihm nicht vergönnt, ihn kennenzulernen.
    Wegen des Kriegs zwischen Georgiern und Armeniern zog auch Großvater Frunsitsch es vor, Bender zu verlassen. Wie viele Alte aus beiden beteiligten Gemeinschaften erklärte er seinen Rückzug aus dem Geschäft und ging in seine Heimat, wo er jetzt in kleinem Stil mit Alkohol handelt.
    Stepan führt noch immer den Kiosk an der Straße, aber er verkauft keine Waffen mehr, die Tschornaja mast verhindert es, darum schlägt er sich jetzt mit dem Verkauf von Zigaretten und ein bisschen gepanschtem Wodka durch. Seine Tochter beendete ihr Studium und fand Arbeit in einem Architekturbüro in Moskau. Nixon ist nach wie vor Stepans treuer Helfer; er kann immer noch keine Kommunisten und Neger leiden, dafür hat er endlich Freundschaft mit Mel geschlossen: Allerdings musste Mel dafür seinen Gameboy opfern, dem es gelang, in Nixons Herz den Platz des einst heißgeliebten Tetris einzunehmen.
    In letzter Zeit, sagt Mel, habe Nixon aber viele graue Haare bekommen, er altere viel zu schnell.
    Gagarin überlebte die Geschichte nur um drei Jahre: Er wurde in Sankt Petersburg ermordet, weil er sich mit Leuten eingelassen hatte, die den Schutz von Polizei undehemaligem KGB genossen. Von seinem Tod hat man erst später erfahren, als eine Geliebte von Gagarin seine Eltern kontaktierte und sagte, er sei auf dem Friedhof von Ligowo begraben.
    Kater zog nach Südrussland, wo er sich eine Zeitlang der Bande eines sibirischen Kriminellen anschloss, die aus Asien kommende Sattelschlepper überfiel. Dann lernte er ein Mädchen aus Rostow am Don im Gebiet der Kosaken kennen und zog mit ihr aufs Land, in die Nähe des Flusses. Offiziell macht er keine kriminellen Geschäfte mehr, er hat drei Kinder, zwei Jungs und ein Mädchen, geht auf die Jagd und betreibt zusammen mit dem Vater und den Brüdern
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