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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde
Autoren: Nicholas Meyer
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nur, wenn ihm ein besserer Gedanke kam. Zu jenem Zeitpunkt war er der unverrückbaren Überzeugung, daß die Welt für die ›Theatermorde‹ (wie er die Affäre gerne nannte) noch nicht reif und eine Enthüllung nur mit Folgen möglich war, die er zu vermeiden wünschte.
    Eine Kombination von Umständen ließ ihn schließlich seine Meinung ändern. Der Ablauf der Jahre und das Ableben mehrerer Hauptfiguren sowie der sich ändernde Sittenkodex der Gesellschaft milderten allmählich seine Halsstarrigkeit. Dann brachte ich ein geschicktes Argument vor, das ich mir zurechtgelegt hatte, um seine Furcht vor Veröffentlichung zu beschwichtigen.
    Ich machte ihm klar, daß es mir in erster Linie darum ging, den Fall als historisches Material festzuhalten (er gab zu, daß dies von Nutzen sein könnte), nicht als Sensationsliteratur für die skandallüsterne Presse. Statt einen Verleger einzuschalten, bot ich Holmes das alleinige und ausschließliche Besitzrecht an dem Manuskript an, mit dem er tun konnte, was er wollte, wann er es wollte. Meine einzige Bedingung war, daß es nicht zerstört werden durfte.
    Er zögerte nach diesem Angebot mehrere Tage, während derer er unsere Aussprache gänzlich vergessen zu haben schien (ich glaube, daß er wohl versuchte, sie zu vergessen), und beschäftigte sich mit seinem Kriminalarchiv, das ständiger Überprüfung bedurfte, um seinen Zweck erfüllen zu können. Ich setzte ihm nicht weiter zu, denn ich wußte, daß er die neue Möglichkeit überdachte, ohne weiteren Zuspruch von mir zu brauchen.
    »Wie könnten Sie nur System in die Sache bringen?« fragte er mich eines Tages, als wir im türkischen Bad waren. »Die Liste der Personen und Ereignisse ist lang und diffus. Sie bietet Ihnen nicht die kompakte Symmetrie meiner typischeren Fälle, nicht die Art von Material, mit dem Ihnen zu arbeiten so leichtfällt.«
    Ich erwiderte, daß ich einfach die Geschehnisse so niederschreiben würde, wie sie vorgefallen waren.
    »Oho«, lachte er. »Sie bedienen sich der Schliche einfacher Schreiberlinge, wie? Niemand wird Ihnen Glauben schenken, das wissen Sie ja wohl.«
    Ich reihte diese Bemerkung in meine Liste von Argumenten für eine Veröffentlichung ein und gab sie an ihn zurück. Er brütete in dem aufsteigenden Dampf darüber nach und sagte nichts weiter.
    Eine weitere Woche verging, dann sah er ganz unvermittelt von seinem chaotischen Archiv auf und sagte gelassen: »Nun gut, Sie sollen Ihren Willen haben. Aber vergessen Sie nicht, mir das Manuskript zu geben, wie versprochen, wenn Sie fertig sind.«
    Ich traute mich nicht, eine Bemerkung zu machen, die ihn von seinem Entschluß hätte abbringen können, sondern stimmte ebenso gelassen zu. Und ich werde mein Versprechen auch halten, muß allerdings noch eine Bemerkung voranstellen: Da in den folgenden Fall eine große Anzahl britischer Bühnengrößen verwickelt ist, ist die Versuchung heute stark, sich beim Schreiben der Geschichte nachträglich vorhandener Kenntnisse zu bedienen, um zu behaupten, man habe immer schon gewußt, wer zur Größe bestimmt war, und dergleichen mehr * . Es wird dem künftigen Leser – sollte Holmes dieses Manuskript jemals aus der Hand geben! – auch auffallen, daß manche meiner damaligen Verdächtigungen schon ans Absurde grenzen. Ich werde der Versuchung widerstehen, diese meine Vermutungen zu verändern oder zu verwässern. Ich war damals wie heute der Meinung, daß eine machtvolle oder einflußreiche Stellung im Leben einen Verdächtigen nicht vor Nachforschungen schützen dürfe. Meine Verdächtigungen mögen heute lachhaft erscheinen, aber ich werde sie dennoch stehenlassen und die Geschichte so erzählen, wie sie sich abgespielt hat.

KAPITEL EINS

    Zu Hause bei Sherlock Holmes

    Londons gesamte Theaterwelt redete und rätselte über den Mord an Jonathan McCarthy, sobald die Nachricht davon in der Presse erschienen war. Es wimmelte von Theorien über den boshaften Kritiker und die vielen Feinde, die er sich mit seiner Feder geschaffen hatte. Aber Neugier, die unbefriedigt bleibt, stirbt schließlich an der Langeweile. McCarthys Mörder wurde nie ausfindig gemacht, geschweige denn gefaßt, und da sich keine neuen Fakten ergaben, sah sich die Polizei schließlich gezwungen, sich dem allgemeinen Publikum mit dem Eingeständnis zuzugesellen, daß sie auch nicht weiterwußte. Der Fall wurde nie abgeschlossen, aber die allgemeine Aufmerksamkeit wurde unvermeidlich von neueren Ereignissen abgelenkt. Der
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