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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde
Autoren: Nicholas Meyer
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Neuankömmlings richtig zu beschreiben. »Der Mensch geht wie ein gigantischer bocksbeiniger Kobold.«
    »Was? Das hört sich ja an, als sei es Shaw.« Holmes tauchte hinter mir auf. Seine Lebensgeister wurden in erheblichem Maße geweckt, während wir gemeinsam die herankommende Gestalt beobachteten. »Ja, wirklich, es ist Shaw. Ich will zum Teufel gehen, wenn das nicht Shaw ist!« rief er vergnügt. Die Pfeife hatte er zwischen die Lippen geklemmt. »Was in aller Welt lockt ihn an einem solchen Morgen ins Freie? Und wieso hat er sich anders besonnen und stattet mir einen Besuch ab?«
    »Wer ist er?«
    »Ein Freund.«
    »Ein Freund?« Vertraut, wie ich mit dem Privatleben und den Gepflogenheiten Sherlock Holmes’ war, nahm ich diese Äußerung mit dem größten Erstaunen entgegen. Von mir selbst, seinem Bruder und einigen berufsbedingten Bekanntschaften abgesehen, pflegte Holmes keinerlei Freundschaften. Der sonderbare Kauz dort unten war jetzt dabei, die Hausnummern sorgfältig zu studieren, bevor er auf unsere Türschwelle hüpfte und dort anhielt. Es wurde mehrere Male mit Nachdruck geschellt.
    »Ich habe ihn vor ein paar Jahren bei einem Sarasate-Konzert * getroffen«, erklärte Holmes und wandte sich dem Zimmer zu, um hastig etwas Ordnung in unser Chaos zu bringen. Er stieß mit Fußtritten ein paar Bücher beiseite, um eine Art Pfad von der Tür zum Sessel am Kamin zu bahnen. Ich begleitete ihn nur noch sehr selten zu Konzerten oder in die Oper, da ich leichtere Formen der Unterhaltung vorzog, die ihm trivial erschienen.
    »Wie ich mich entsinne, stritten wir uns ziemlich heftig über Sarasates Talent, versöhnten uns aber zum Schluß. Er ist ein hochbegabter Ire.« Holmes nahm die Pistole von dem Sessel, den er unserem Gast anbieten wollte, und legte sie auf den Kaminsims. »Ein hochbegabter Ire, der noch nicht sein Metier gefunden hat. Aber er wird es finden. Sie werden auf alle Fälle Spaß an ihm haben. Er ist voll der sonderbarsten Ideen.«
    »Woher wissen Sie, daß er hochbegabt ist?«
    Vom Fuß der Treppe konnten wir eine gedämpfte Konversation – zweifellos zwischen unserem Besucher und Mrs. Hudson – vernehmen.
    »Woher ich das weiß? Oh, das hat er mir selbst gesagt. Er neigt nicht dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Außerdem«, er sah mich an, den Kohlenkasten in den Händen, »versteht er Wagner. Er versteht ihn durch und durch. Das allein bestimmt ihn für eine gloriose Laufbahn. Zur Zeit ist der Unselige so arm wie eine Kirchenmaus.«
    Wir hörten nun schnelle Schritte die Treppe heraufkommen. »Was tut er?«
    Das Klopfen an der Tür, das nun erklang, war von derselben Energie, die sich kurz vorher an unserer Klingel entladen hatte.
    »Oh, Sie müssen sich vor ihm hüten, Watson. Sie müssen ihn im Auge behalten und einen weiten Bogen um ihn machen.« Er schüttete Kohle aufs Feuer und ging, verschwörerisch den Finger auf die Lippen legend, an mir vorbei zur Tür. »Er ist ein Kritiker.«
    Damit öffnete er weit die Tür und ließ seinen Freund ein. »Shaw, mein lieber Freund, willkommen! Willkommen! Sie haben mich Dr. Watson erwähnen hören, der diese Räume mit mir teilt? Gut, gut. Watson, erlauben Sie mir, Ihnen Corno di Bassetto * vorzustellen, engen Freunden als Mr. Bernard Shaw bekannt.«

KAPITEL ZWEI

    Einladung zu einem Auftrag

    Mr. Bernard Shaws Ähnlichkeit mit einem groß geratenen Kobold verstärkte sich bei näherem Hinsehen. Seine Augen waren die blauesten, die ich je erblickt hatte, von der Farbe der Côte d’Azur. Sie zwinkerten heiter, solange er leicht dahinplauderte, und blitzten, wenn er sich erregte, was nicht selten vorkam, denn er war ein emotionaler Mensch und ein lebhafter Redner. Seine Gesichtshaut war von einem fast so kräftigen Rot wie sein Haar, und er besaß eine streitsüchtige breite Nase mit abgerundeter Spitze und bebenden, sich weitenden Nasenflügeln. Seine Redeweise paßte sich seiner Erscheinung an; sie hatte einen ganz leichten, ungemein wohlklingenden Anflug von Irisch.
    »Bei Gott, mir scheint, Ihre Zimmer sind noch unordentlicher als meine«, begann er beim Überschreiten der Schwelle und nickte uns zu. »Immerhin sind sie etwas größer als meine Höhle. Das erlaubt Ihnen, bei aller Schlampigkeit kreativ zu sein.«
    Diese Bemerkungen ärgerten mich. Ich fand es unziemlich, sich als Gast so einzuführen, aber irgendwie gelang es dem schalkhaften Lächeln, mit dem er mich bedachte, seinen Worten den Stachel zu nehmen. Holmes, der
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