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Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Titel: Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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wird diese andere Möglichkeit so leicht vernachlässigt. Auf fünfzig Leute, die von der Synthese her argumentieren können, kommt einer, der wirklich analytisch denkt.«
    »Ich muß zugeben, daß ich Ihnen nicht ganz folgen kann«, sagte ich.
    »Ich habe auch gar nicht angenommen, daß Sie es könnten. Mal sehen, ob ich es Ihnen klarer machen kann. Wenn man den meisten Leuten eine Reihe von Ergebnissen berichtet, dann
    sagen sie einem, was das Resultat sein wird. Sie kriegen es fertig, zwei Gegebenheiten in ihrem Kopf zusammenzufassen und argumentieren von dort her, was daraus werden wird. Es gibt jedoch nur wenig Menschen, die, wenn man ihnen das Resultat vorlegt, aus eigenem
    inneren Antrieb heraus fähig sind, die Schritte nachzuvollziehen, die nötig waren, zu diesem Ergebnis zu kommen. Diese Fähigkeit ist gemeint, wenn ich davon spreche, jemand
    argumentiert analytisch.«
    »Jetzt verstehe ich Sie«, sagte ich.
    »Nun, dies letztere war in dieser Sache der Fall. Wir hatten ein Ergebnis und mußten alles übrige selber herausfinden. Lassen Sie mich Ihnen jetzt Schritt für Schritt erklären, wie ich vorging. Wir wollen am Anfang beginnen. Ich ging, wie Sie sich erinnern werden, zu Fuß auf das Haus zu, mein Geist frei von Vorurteilen. Natürlich begann ich mit meinen
    Untersuchungen auf der Straße. Dort sah ich, aber das habe ich Ihnen ja auch schon alles erzählt, dort also sah ich die Spuren des Pferdes und des Mietwagens, die dort, wie ich durch ein paar Fragen herausbekam, in der Nacht gestanden haben mußten. Ich stellte fest, daß es sich um einen Mietwagen und nicht um eine private Kutsche handelte, denn diese
    Mietkutschen haben schmalere Radspuren. Die Räder der normalen Londoner Mietgefährte
    sind schmaler als die meisten privaten Kutschen.
    Dies war mein erster Punkt, den ich gewonnen hatte. Dann wanderte ich langsam und
    vorsichtig den Gartenweg hinunter, der aus schwerem Lehmboden besteht und in dem die
    Eindrücke besonders gut zu lesen waren. Ihnen kam der Weg vermutlich wie ein
    zertrampelter, dreckiger Pfad vor, aber meine Augen sind für diese Dinge trainiert, und so sah ich die Bedeutung der Fußspuren auf dem Weg. Kein Zweig in der Ausbildung der Detektive ist so notwendig und wird so sehr vernachlässigt wie die Sicherung von Fußspuren.
    Glücklicherweise lege ich immer größten Wert darauf, und ich habe soviel geübt, daß dies Spurenlesen mir schon zur zweiten Natur geworden ist. Ich sah die schweren Fußtritte der Polizisten, aber ich entdeckte auch die Spuren der zwei Männer, die als erste durch den Garten gegangen waren. Ich konnte leicht ausmachen, daß sie vor den anderen dagewesen
    waren, denn die anderen Spuren waren darübergelegt. Auf diese Weise habe ich mein zweites Verbindungsglied erhalten. Ich hatte nämlich festgestellt, daß die nächtlichen Besucher zu zweit gewesen sind. Einer von den zweien muß sehr lang sein, das errechnete ich mir von der Länge seiner Schritte. Der andere muß elegant gekleidet gewesen sein, denn er hinterließ die schmalen Fußspuren, die von eleganten Abendschuhen gemacht werden.
    Nachdem wir das Haus betreten hatten, wurde meine Vermutung bestätigt. Der Mann mit den eleganten Schuhen lag vor mir. Dann war der Lange eben der Mörder, falls es sich um Mord handelte. Der Tote schien keine äußerliche Wunde zu haben, aber der verzerrte Ausdruck in seinem Gesicht machte doch klar, daß er sein Schicksal vorausgesehen hatte, bevor er starb.
    Menschen, die an einem Herzanfall oder an sonst einer plötzlichen, natürlichen Ursache sterben, verändern ihren Gesichtsausdruck im Tod nicht auf eine solche Weise. Ich roch an den Lippen des Toten und nahm einen schwach säuerlichen Geruch wahr. So kam ich zu dem Schluß, daß dem Mann ein Gift aufgezwungen worden war. Daß es ihm aufgezwungen
    worden war, schloß ich aus dem Ausdruck von Haß, den ich noch in seinen Gesichtszügen
    lesen konnte. Mit meiner Methode der Schlußfolgerung war ich soweit gelangt, denn zu
    keiner anderen Hypothese paßten die vor uns liegenden Tatsachen. Glauben Sie ja nicht, daß diese Idee neu ist. Daß man sein Opfer zwingt, Gift zu nehmen, ist wirklich nicht neu in der Geschichte der Kriminalität. Ich nenne Ihnen nur den Fall Dolsky in Odessa und den von Leturier in Montpellier, das sind Fälle, die jedem Giftspezialisten sofort ins Gedächtnis gerufen werden.
    Und nun kam die große Frage, warum das alles geschehen war. Um Raubmord handelte es
    sich nicht, denn nichts
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