Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Titel: Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Theorie und den Gesetzen des Sonnensystems hatte. Daß ein zivilisierter Mensch des neunzehnten Jahrhunderts nichts
    davon gehört haben sollte, daß die Erde um die Sonne herum wandert, erschien mir unfaßlich.
    »Sie scheinen verwundert zu sein«, sagte er und lächelte über meinen überraschten Ausdruck.
    »Nun, da ich es weiß, werde ich mein bestes tun, das wieder zu vergessen.«
    »Das wieder zu vergessen!«
    »Sehen Sie«, erklärte er, »ich stelle mir das menschliche Gehirn wie eine kleine
    Dachwohnung vor, die man nach Belieben mit Möbeln bestückt. Nur ein Dummkopf packt
    allen ausgedienten Kram dort hinein, so daß nützliches Wissen keinen Platz mehr hat oder bestenfalls zusammen mit anderem Unrat dort hineingestopft wird. Es wird schwierig werden, bei Bedarf dieses nützlichen Wissens habhaft zu werden. Ein geübter Arbeiter aber wählt sorgfältig aus, was er in seine Gehirnkammer bringt. Er möchte nichts dort haben als die Werkzeuge, die ihm helfen, seine Arbeit effektiv zu tun. Von diesen Werkzeugen aber
    braucht er ein gutes Sortiment und alles muß gut und handgerecht geordnet sein. Man begeht einen schweren Fehler, wenn man meint, dieser kleine Raum habe Gummiwände und könne
    nach Belieben ausgedehnt werden. Verlassen Sie sich darauf, es wird eine Zeit kommen, wo Sie für jedes zusätzliche Wissen etwas vergessen müssen, was Sie vorher aufgenommen
    haben. Es ist daher von größter Wichtigkeit, daß nicht unnützes Wissen nützliches
    hinausboxt.«
    »Aber das Sonnensystem!« protestierte ich. »Was zum Teufel bedeutet mir das!« unterbrach er mich ungeduldig. »Sie sagen, daß wir um die Sonne herumwandern. Wenn wir uns um den Mond herum bewegten, so würde das meine Arbeit auch nicht für fünf Pfennig beeinflussen.«
    Es lag mir auf der Zunge, nach der Art seiner Arbeit zu fragen, aber etwas in seinem Gebaren machte mir begreiflich, daß ihm eine solche Frage unwillkommen war. Trotzdem dachte ich über unsere kurze Unterhaltung nach und versuchte, meine Schlußfolgerung daraus zu ziehen.
    Er hatte gesagt, daß er kein Wissen ansammeln würde, das er nicht für seine Arbeit verwerten könne. Seine Studien mußten deshalb alle für seine Ziele nützlich sein. Ich ging in meinem Sinn die verschiedenen Gebiete durch, in denen er außergewöhnlich gut informiert war. Ich nahm sogar einen Bleistift und fertigte eine Liste an. Ich konnte nicht anders als über das fertige Schriftstück lächeln.
    Es sah folgendermaßen aus:
    Sherlock Holmes — Seine Grenzen
    1. Literaturwissen — nichts
    2. Philosophiewissen — nichts
    3. Astronomiewissen — nichts
    4. Politikwissen — wenig
    5. Botanikwissen — unterschiedlich. Kennt sich gut aus in Drogen und allgemeinen Giften.
    Keine Ahnung vom praktischen Gartenbau
    Ich habe schon auf sein ausgezeichnetes Geigenspiel hingewiesen. Sein Spiel war wirklich bemerkenswert, aber ebenso exzentrisch wie all seine anderen Aktivitäten. Schwierige
    klassische Stücke konnte er gut spielen. Ich wußte das, weil er mir auf meine Bitte hin ein paar Mendelsonlieder und andere Lieblingsstücke vorgespielt hatte. Wenn er jedoch für sich spielte, produzierte er weder klassische Musik noch irgendwelche gängigen Melodien. Er konnte sich am Abend in seinem Sessel zurücklehnen, die Augen schließen und, die Geige auf den Knien, sorglos über die Saite hinstreichen. Manchmal waren die Akkorde traurig und melancholisch. Zu anderen Zeiten waren sie phantastisch fröhlich. Es war klar, daß diese Melodien Gefühle widerspiegelten, die in ihm arbeiteten. Ob aber das Spiel Gedanken
    ausdrückte, mit denen er sich beschäftigte oder ob es nur das Ergebnis einer augenblicklichen Laune war, das konnte ich nicht herausbekommen. Manchmal hätte ich wegen dieser
    ausdrucksvollen Solos protestieren mögen, aber er hielt mich bei Laune, indem er am Ende immer eine ganze Reihe meiner Lieblingsmelodien hintereinander spielte. Das war dann die Kompensation für die Geduldsprobe.
    Während der ersten Wochen hatten wir keinerlei Besucher. Ich hatte mich schon mit dem
    Gedanken angefreundet, mein Freund sei ein Mensch, der, wie ich selber, ohne Freunde
    auskommen konnte. Schließlich aber stellte sich heraus, daß er sehr viele Bekannte hatte.
    Diese gehörten zu den verschiedensten gesellschaftlichen Klassen. Da war ein kleiner blasser Mann mit einem Rattengesicht und dunklen Augen, der mir als Mr. Lestrade vorgestellt
    wurde. Der Mann konnte in einer einzigen Woche drei- bis viermal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher