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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden
Autoren: Wolfgang Schüler
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Reichenbach-Fällen [ 8 ] , wo ich vergeblich Felsbrocken auf Sievon oben herabschleuderte. Später dann, nachdem Sie in wunderbarer Weise von den Toten auferstanden waren, patzte ich erneut, als ich in London mit meiner Windbüchse mehrere Löcher in die Luft schoss. Dieses doppelte Versagen hat bis heute an meiner Ehre genagt. Ein wahrer Gentleman sollte stets bemüht sein, seine offenen Rechnungen zu begleichen.«
    »Aber wie ist es Ihnen gelungen, uns an einem solch exotischen Ort wie dem Leipziger Hauptbahnhof aufzuspüren, mitten auf dem Kontinent, Hunderte Meilen weit entfernt von der Baker Street?«
    »Zufällig bin ich vor Kurzem bei meiner Lektüre des
Königlich Sächsischen Anzeigers
auf einen spannenden redaktionellen Beitrag gestoßen, in dem von mysteriösen Verwicklungen in Berlin berichtet wurde, bei denen ein geraubter Goldschatz [ 9 ] und ein berühmter englischer Detektiv die Hauptrollen spielten. Ich habe eins und eins zusammengezählt und mit den Rezeptionen der bekanntesten Berliner Hotels telefoniert. Im
Adlon
wurde ich fündig. Die Direktion war sehr stolz darauf, Sie beherbergen zu dürfen. Einer meiner Leute ließ Sie von da an nicht mehr aus den Augen. Nebenher hat er allerlei nützliche Erkundigungen über Sie eingezogen. Von einem schwatzhaften Zimmermädchen, das sich in Geldnöten befand, erfuhr mein Gewährsmann Ihr nächstes Reiseziel. Seitdem in Leipzig der
Berliner Bahnhof
stillgelegt wurde, laufen sämtliche Eisenbahnzüge, die aus der Reichshauptstadt kommen, in der Westhalle des Hauptbahnhofs ein. Also habe ich mich hier nach alter Waidmannsart auf die Lauer gelegt. Als erfahrener Jäger habe ich das Warten gelernt. Der Hinterhalt und meine Tarnung waren perfekt ausgewählt. Nur leider eignen sich Holzpantinen nicht für eine schnelle Flucht. Außerdem war die Schussbahn viel zu weit bemessen, jedenfalls für ein altes Semester wie mich. Vor zwanzig Jahrenwäre die Sache noch ganz anders ausgegangen, das kann ich Ihnen flüstern. Da hätte ich selbst auf diese Distanz problemlos einer Fliege das linke Auge weggeschossen. Aber nun zittern meine Hände, und mein Augenlicht lässt nach. So ist das eben mit der Selbstüberschätzung und dem Altersstarrsinn. Wenn ich auf Nummer sicher gegangen wäre und aus unmittelbarer Nähe auf Sie gefeuert hätte, würde nur noch der Leichenbestatter zu Ihnen sprechen. Und vorhin, als Sie beide wie eine Horde Elefanten die Leitern nach oben gepoltert kamen, dachte ich irrtümlich, die bewaffnete Bahnwacht sei auf dem Anmarsch, weil Ihre Hüte dort drüben noch immer im Kiosk auf und ab wanderten.« Er machte eine kurze Pause und zog eine unschöne Grimasse. »Aber Sie, mein lieber Holmes, sind mit den Jahren auch nicht klüger geworden. Sie hätten mich auf der Stelle töten müssen, als Sie eben die Gelegenheit dazu hatten. Die Rache ist mein, sprach der Herr. Irgendwann komme ich wieder frei, und dann werde ich Sie verfolgen, bis an mein Lebensende. Ganz egal, wo Sie sich versteckt halten, ich werde Sie aufspüren. Das verspreche ich hoch und heilig, beim Grab meiner Mutter. So wie ich Sie heute gefunden habe, werde ich Sie immer wieder finden, und sei es selbst bei den Muselmanen in Timbuktu.«
    »Woher rührt dieser unbändige Hass? Ich habe Ihnen nie etwas zuleide getan, sondern mich immer nur gegen Ihre Angriffe zur Wehr gesetzt.«
    »Das wagen Sie zu fragen, Sie Heuchler, der Sie nach außen den Ehrenmann herauskehren, tatsächlich aber nichts weiter sind als ein abgefeimter Mörder? Sie haben aus niederen Motiven heraus den Fixstern des leuchtenden Dreiergestirns zum Erlöschen gebracht. Professor Moriarty war ein größeres Genie als Leonardo da Vinci, ein bedeutenderer Stratege als Niccolò Machiavelli und ein besserer Menschenkenner alsLucrezia Borgia. Er stand meilenweit über uns allen. Aber trotzdem: Die Welt wird selbst ohne ihn ihren Zenit erreichen, das schwöre ich Ihnen. Der große Lehrmeister ist nicht verstummt. Er spricht auch nach seinem Tod zu uns. Die Saat ist bereits gelegt. Bald wird sie aufgehen.«
    Im selben Moment forderte eine äußerst gereizt klingende Stimme hinter uns: »Hände hoch! Lassen Sie sofort die Waffe fallen!«
    Ich wagte nicht, mich umzudrehen, denn ich hörte überdeutlich, wie der Sicherheitsbügel einer Pistole klickend umgelegt wurde. Ich spreizte meine Finger auseinander. Der Revolver polterte zu Boden.
    [ 1 ] Die Schlacht von Maiwand fand am 27. Juli 1880 zwischen Afghanischen Truppen und der
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