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Shanera (German Edition)

Shanera (German Edition)

Titel: Shanera (German Edition)
Autoren: Thilo Schön
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begannen im wieder auffrischenden Wind leise zu flattern. Ein paar hundert Schritte weiter zweigte nach rechts ein steil wandauf laufender Pfad ab.
    Sie blieb stehen. Wenn sie dieser Abzweigung folgte, würde sie, den mittleren Hauptweg kreuzend, auf den oberen gelangen. Dann wäre sie nur noch wenige Dutzend Schritte entfernt vom Kuppelkomplex des Tempels und seiner Nebengebäude. Sie hatte Zela oft dort besucht im letzten Sonnenzyklus, seit diese in den Kreis der Anwärterinnen aufgenommen worden war.
    Es gefiel ihr nicht, sie so ohne Vorwarnung und Abschied zurückzulassen. Aber sie war davor zurückgescheut, sie über ihre Pläne in Kenntnis zu setzen – aus Furcht, die dem Dorf sehr verbundene Zela hätte diese nicht akzeptiert und ihr ernsthafte Hindernisse in den Weg gelegt. Shanera bedrückte das Gefühl, eine schlechte Freundin und auch noch feige zu sein, doch jetzt war es zu spät. Wenn sie nachts in den Tempel eingedrungen wäre, voll bepackt und bewaffnet, dann hätte sie sich gleich selbst in die Bußhöhle begeben und ihre Brosche zur Verwahrung abgeben können. Sie schickte einen stillen Gedanken zu den Träumen ihrer Freundin und hoffte, dass sie ihr verzeihen würde.
    Weiter folgte sie dem unteren Weg, bis dieser schließlich nach einer kurzen, unregelmäßig gewundenen Treppe durch einen Felsbogen hindurch führte. Hier endete der Bereich der Siedlung. Außen am Pfeiler des natürlichen Tores war auf Kopfhöhe ein Teil des Steines geglättet und mit Schriftzeichen versehen worden. Darunter befand sich eine kleine Höhlung, in der sich Tau und Regenwasser sammelten. Sie langte mit der linken Hand hinein und tupfte sich ein paar Tropfen auf den Hals, um den Segen der Götter zu erbitten.
    Seltsam, jetzt, wo es soweit war, war ihre Stimmung gedrückt und sie fühlte sich plötzlich alles andere als zuversichtlich. Sie dachte daran, dass man sie vielleicht verfolgen würde. Die meisten Dinge, die sie mitgenommen hatte, waren ihre persönlichen Sachen. Schriftrollen und Pfeilspitzen jedoch waren vergleichsweise wertvolle Gegenstände und wurden als Leihgaben der Gemeinschaft betrachtet.
    Möglicherweise war man der Meinung, dass eine solche Entnahme des Gemeinschaftseigentums nicht hingenommen werden sollte, auch wenn es sich um eine Menge handelte, die das Dorf verkraften konnte. Abgesehen davon, dass es nicht den normalen Gepflogenheit entsprach, sich plötzlich vom Dorfleben zu verabschieden und einfach zu verschwinden.
    Nun, sie hatte einen gewissen Vorsprung und war eine schnelle und ausdauernde Läuferin. Nur wenige konnten mit ihr mithalten, wenn es wandaufwärts ging. Sie atmete tief durch und startete mit großen, sicheren Schritten im leichten Trab den steinigen, schmalen Weg entlang, der langsam an Höhe gewann.
    +
    Koras war früh erwacht. Heute wollte er sich im Stabkampf mit den anderen jungen Männern des Dorfes messen und er fieberte dem Ereignis entgegen. Wenn er gut abschnitt, hatte er beste Aussichten auf die Laufbahn eines Jägers und Wächters. Er würde die Gelegenheit haben, Handelsgruppen zu begleiten, die in weit entfernte Dörfer geschickt wurden, und Jagdexkursionen in unbekannte Gebiete anzugehören. Das Dorf wurde ihm langsam zu eng und er gehörte nicht zu denen, die damit zufrieden waren, ab und zu einen Jagdausflug auf den nächstgelegenen Abschnitt des Hochplateaus zu machen.
    Aber was, wenn es nicht klappte? Er hoffte, bis in den Endkampf zu kommen, aber seine Konkurrenten waren nicht zu verachten. Ein, zwei glückliche oder unglückliche Manöver konnten einen Kampf entscheiden. Wenn er frühzeitig ausschied, wären seine Hoffnungen dahin. Zumindest müsste er bis zu den nächsten Wettkämpfen warten, und das dauerte. Hatte er sich wirklich genug vorbereitet? Es schien so einfach, zu scheitern, und so schwierig, zu gewinnen.
    Als ihm klar wurde, dass er nicht wieder einschlafen konnte, erhob er sich von seinem Lager und schlich leise zum Eingang. Vorsichtig trat er nach draußen in die kühle Morgenluft. Es war noch fast dunkel und die unter ihm liegenden Kuppeln waren nur als schwarze Schemen vor dem etwas helleren nebligen Hintergrund zu sehen.
    Als er den Kopf wendete, hatte er einen Moment lang das Gefühl, eine Bewegung gesehen zu haben, einen Schatten nahe dem Südwesttor. Vermutlich war es ein Vogel gewesen, falls er sich nicht überhaupt getäuscht hatte.
    Er dachte an Zela, wie so oft in letzter Zeit. Sie hatte ihn in ihren Bann geschlagen, und obwohl sie auf
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