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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen
Autoren: Federica de Cesco
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Trinker. Als ich ihn kürzlich besuchte, stellte ich fest, dass es ihm besser ging. Doch er plagt sich Tag und Nacht mit Schuldgefühlen. Ich glaube, dass es ungeheuer wichtig für ihn wäre, wenn du ihn besuchen würdest. Denk mal darüber nach! Und noch etwas: Der junge Frank Morgan hat mir kürzlich erzählt, dass sein Vater einen Scheck von dir erhalten hat: zweihundert Dollar für die Geige und hundert Dollar Schmerzensgeld für den Schlag auf den Kopf. Beide – Vater und Sohn – sind mit dieser Abfindung zufrieden. Somit ist diese Sache erledigt. Meines Erachtens verträgt Franks Schädel noch mehr solche Schläge … Zu meinem Bedauern bin ich ja als Lehrer zu Langmut verpflichtet. Immerhin wird es Zeit, dass er geht. Ich könnte allmählich die Geduld verlieren.
    Falls du mal ins Reservat kommst und Sehnsucht nach dem alten ›Egger‹ hast, du kennst ja den Weg. Eine Tasse Kaffee und Kuchen (selbst gebacken von meiner Frau) stehen immer für dich bereit.«
    »Wir besuchen ihn«, sagte ich zu Mike. »Er ist ein toller Lehrer, obwohl wir ihn damals völlig lahm fanden.«
    Es war Spätsommer, wir waren in Mikes Wagen unterwegs nach Collins. Ich hatte lange gezögert, die Reise immer wieder hinausgeschoben. Aber jetzt eilte die Zeit. In einer Woche ging das Orchester auf Tournee: Boston, San Francisco, Los Angeles, New York – die großen Städte. Ich würde die Vereinigten Staaten kennen lernen und später Asien, Europa, die ganze Welt! Und mein Vater? Der Gedanke an ihn ließ mir keine Ruhe und jetzt hatte ich meinen Entschluss gefasst. Aber es tat gut, dass Mike bei mir war.
    Wir fuhren über die Landstraße. Die Berghänge waren noch grün, aber die Espen färbten sich golden. Der Herbst schwebte bereits in den Abendnebeln. Das Heim, dessen Adresse ich von Stanley Egger erhalten hatte, befand sich außerhalb von Collins und wurde von Sozialarbeitern geführt. Es war ein altes Haus, das ziemlich verkommen wirkte. Männer kamen und gingen, alle mit irgendwelchen Aufgaben beschäftigt. Ein junger Betreuer erwartete uns. Wir hatten unsere Ankunft telefonisch mitgeteilt. Elliot Reed, sagte er, sei im Garten beschäftigt.
    »Weiß er, dass ich ihn besuche?«, fragte ich.
    »Ja, natürlich.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Ach, nichts weiter, aber er schien nicht abgeneigt Sie zu sehen.«
    Mike sah mich an: »Es ist besser, du gehst alleine«, meinte er. »Ich komme später, wenn du willst.«
    »Gut«, sagte ich.
    Durch eine Veranda, in der sich die Hitze staute, führte mich der Betreuer in einen Obst- und Gemüsegarten hinter dem Haus! Ich sah meinen Vater schon von weitem. Er trug eine Latzhose und sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er kauerte unter einem Baum, stocherte mit einem Spaten herum und rupfte mit der freien Hand Unkraut aus. Er schwitzte in der prallen Sonne, seine Haut schien mit Öl eingerieben.
    »Rufen Sie, wenn Sie mich brauchen, ja?«, sagte der Betreuer.
    Ich nickte, ging langsam weiter. Elliot blinzelte im Sonnenlicht, erhob sich. Seine Bewegungen waren erstaunlich geschmeidig. Ich hatte ihn vor langer Zeit so gesehen; vor sehr langer Zeit, als meine Mutter noch lebte. Ich fand, dass er nicht schlecht aussah.
    »Tag«, sagte ich.
    Er steckte den Spaten in die Erde.
    »Shana«, murmelte er, »du bist gewachsen.«
    »Ich war klein für mein Alter«, erwiderte ich. Er nickte langsam.
    »Das war mir nicht aufgefallen.«
    Schweigen. Elliot räusperte sich.
    »Du machst jetzt Musik, habe ich gehört. Du bist berühmt.«
    »Ich habe noch viel zu lernen«, sagte ich.
    Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten.
    »Tja, ich auch.«
    »Es tut dir gut, im Garten zu arbeiten.«
    »Später will ich unseren Garten in Ordnung bringen.«
    »Sicher eine harte Arbeit.«
    »Das macht nichts. An der frischen Luft sein, das gefällt mir. Nächsten Monat gehe ich nach Hause. Der Garten soll wieder so wie früher sein. Melanie, die hätte ihre Freude daran, glaubst du nicht auch?«
    »Bestimmt.«
    Seine Lippen zitterten. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust.
    »Mir tut eine ganze Menge Leid.«
    Mit einer Handbewegung tat ich den Satz ab.
    »Das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
    Ein Funke glomm in seinen Augen auf.
    »Ach, findest du?«
    »Ja, es hat mir auch … irgendwie geholfen.«
    Er zog die Stirn kraus.
    »Hmm?«
    »Irgendwie … hat mich das stark gemacht. Sonst hätte ich nie gewusst, was ich mit mir anfangen sollte. Hätte vielleicht an der Tankstelle gearbeitet. Oder so. Verstehst du?«
    Er
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