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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen
Autoren: Federica de Cesco
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aus der Übung und habe die Noten nicht mehr im Kopf. Ich probierte einige Töne mit dem Bogen und versuchte zu vergessen, wo ich mich befand. Im Geiste versetzte ich mich zurück in den Wald, in eine dämmrige Lichtung, in der Mücken tanzten. Ich sah in Schatten gehüllte Bäume und eine dunkle Tiergestalt trat zwischen den Bäumen hervor. Ich hörte Wasser über die Steine plätschern und das Rauschen des Windes in den Zweigen. Ich roch die Baumrinden, den Duft der Gräser und Wildblumen, den süßlichen Geruch warmen Fells.
    Mein Bogen strich über die Saiten und eine Stimme begleitete meinen Gesang: Es war keine menschliche Stimme, aber ich trug sie im Herzen und sie war ein Teil von mir. Dann wandelte sich der Klang, zögerte, senkte sich, verweilte ein paar Atemzüge lang, bis nur noch ein einziger, sehr tiefer Ton bestand. Ich hörte ihn leiser und leiser werden, empfand fast einen Schmerz, dass er schwieg, es tat mir in der Brust weh. Dann plötzliche Stille. Ruhe, Benommenheit. Ich blickte verwirrt auf den Professor, der unbeweglich vor mir saß. Im Gegenlicht war sein Ausdruck schwer zu erkennen. Ich dachte voller Schreck, ich war nicht bei der Sache und habe lausig gespielt.
    Seine Stimme brach endlich das Schweigen.
    »Die Geige ist für deine Hand etwas groß, aber du bist ja erst sechzehn. In den nächsten Monaten und vielleicht für den Rest des Jahres wirst du einige Probleme haben. Aber du wächst ja und es ist besser, du übst von Anfang an auf deiner eigenen Geige.«
    Mein Herz schlug hart an die Rippen.
    »Dann … dann darf ich also bei Ihnen lernen?«
    Er antwortete mit einer Frage: »Wo wohnst du jetzt?«
    »In der Jugendherberge.«
    »Da hast du nicht die nötige Ruhe.«
    »Ich weiß. Ich muss Arbeit suchen. Vielleicht an einer Tankstelle. Ich habe schon die Zapfsäule bedient …«
    »Was ich von dir verlangen werde, wird ziemlich happig sein«, sagte der Professor. »Schläfst du im Unterricht ein, schlage ich dir den Taktstock auf den Kopf!«
    Sein Mundwinkel hatte einen schalkhaften Zug. Er neckte mich, doch mir war eher zum Heulen zu Mute.
    »Aber ich habe kein Geld. Ich …«
    Er schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
    »Hör zu, Shana. Ich bin kein Freund langatmiger Erklärungen, aber einiges muss gesagt sein. Dein Anschlag und dein Können liegen weit über dem Durchschnitt. Das Lob soll dir nicht zu Kopf steigen, gewisse Unarten müssen korrigiert werden, bevor sie zur Gewohnheit werden. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen Technik und Ausdruck. Unsere Hauptaufgabe wird sein, dies herbeizuführen. Ich werde dich in die Zange nehmen, darauf kannst du gefasst sein. Du wirst hart arbeiten müssen. Traust du dir das zu?«
    Ich nickte wortlos und er fuhr fort: »Du kannst nicht zwei Dinge auf einmal machen. Also wähle: die Zapfsäule oder die Geige.«
    Ich schwieg betreten und er fuhr fort: »In den Ferien kannst du jobben, das ist dein gutes Recht, solange du deine Hände nicht kaputtmachst. Aber nicht während der Schule. Ich werde für dich ein Stipendium beantragen. Inzwischen besorge ich dir eine Unterkunft bei einer Bekannten, die Zimmer an Studenten vermietet. Du kannst auch bei ihr essen. Miete und Kostgeld zahlst du ihr zurück, sobald du das Stipendium hast.«
    »Aber das kann ich doch nicht annehmen. Ich …«
    »Du kannst. Glaubst du vielleicht, du bist die einzige Schülerin in dieser Lage?« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Du kannst dir die Sache überlegen. Wenn du nicht willst …«
    Ich schüttelte den Kopf. Mir wurde es allmählich leichter ums Herz.
    »Gut!«, knurrte er. »Das wäre also geregelt.«
    Ich konnte den Schalk in seinen Augen erkennen. Seine spaßhafte Miene zeigte, dass er keinen Moment an meiner Zusage gezweifelt hatte.
    »Ich unterrichte Schüler aus allen Kreisen«, fuhr Castaldi fort. »Einige kommen aus wohlhabenden Familien, andere nicht. Für mich zählen nur ihre Fähigkeiten. Finanzielle Schwierigkeiten dürfen nie eine Karriere verbauen. Wenn ich nicht so denken würde, wäre ich ein miserabler Lehrer. Und zum Glück habe ich Freunde, die meine Ansicht teilen.«
    Ich sah das tiefe Feuer in seinen Augen und wusste, hier war ein Mensch, dem ich vertrauen konnte. Ich spürte nur noch Freude. Ich war mit unklaren Erwartungen gekommen, mit Ängsten und Sehnsüchten. Und jetzt wurde mein Leben ganz anders! Ich holte tief Luft, erwiderte rückhaltlos sein Lächeln, das voller Zuneigung und Wärme war.
    »Ich danke Ihnen. Ich hoffe bloß, dass
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