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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch
Autoren: Marjorie M. Liu
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versuchte darauf zu achten, wohin sie ging, folgte dem an- und abschwellenden Strom der Passanten. Dabei spielte es eigentlich keine Rolle, ob sie sich verirrte. Elena war frei, sie war entkommen und eilte ihm zu Hilfe. Irgendwie. Sich nicht zu rühren fühlte sich viel zu sehr so an, als würde sie ihn einfach sterben lassen. Dann würde er seinen Geist an den Wurm verlieren, an den Schmerz.
    Elena spürte die ersten Anzeichen von Ärger, als ein kleiner Körper gegen ihre Beine prallte. Ein pausbäckiges Gesicht blickte zu ihr hoch. Sie war in eine ruhigere Seitenstraße gegangen, bis zu einer Gruppe von Jungen, die an einer Mauer herumlungerten. Sie wirkten hart und hungrig. Elena erinnerte sich an dieses Gefühl hungriger Verzweiflung, nur war es nicht ihre Erinnerung, sondern Arturs, und als sie diese Jungen betrachtete, konnte sie sehen, was er einst gewesen war. Das tat weh. Sehr.
    Sie setzten sich in Bewegung, als sie ihren Blick bemerkten. Stießen sich in Zeitlupe von der Mauer ab, wie ein Rudel, das seine Kreise auf der Straße zog und leise knurrte. Sie sprachen auf Russisch mit ihr. Elena lief nicht weg, obwohl sie es wollte. Es wäre sinnvoll gewesen, wie es auch in allen Büchern stand, aber sie brachte es nicht über sich, vor Kindern zu fliehen, ganz gleich, wie gefährlich sie auch sein mochten.
    Der Älteste von ihnen war nicht mal fünfzehn. Er war hager, so scharf wie das Messer, das in seiner Hand blitzte. Er sagte etwas und sah auf ihren Beutel, den ihr Mikhail gegeben hatte. Elena zog ihn sich langsam über den Kopf und warf ihm die Tasche hin. Sie hatte ein bisschen Geld in ihre Hosentasche gesteckt, aber in dem Beutel befanden sich ihre Papiere, der Ausweis, wie nützlich der auch sein mochte. Sie gab das nicht gern her, obwohl es eigentlich nur Sentimentalität war.
    Der Junge sah nicht in den Beutel, sondern starrte auf ihr Gesicht. Dann glitt sein Blick zu ihren Brüsten. Die Veränderung in seiner Miene gefiel Elena gar nicht, dieser Hunger, der sich in verzweifelte Neugier verwandelte.
    So fängt es an. Diese Dinge, von denen du glaubst, dass sie dir selbst unmöglich passieren können. Sie dachte über den Jungen nach, der einfach so auf der Straße hauste, vielleicht nach Liebe hungerte, nach einem Brocken von dem, was andere besaßen, und sich fragte, ob es wohl gut war, ihn zum Mann machen würde, und, ja, der auch überlegte, ob er den Albtraum seines Lebens damit vielleicht ein wenig versüßen konnte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, dass dieses Verhalten einen anderen Albtraum wecken würde.
    Er packte das Messer fester und sah ihr in die Augen. Die anderen Jungen, die älteren von ihnen, grinsten. Die jüngeren wirkten nur verwirrt. Elena machte sich zum Kampf bereit.
    Plötzlich erschien etwas Kleines, gefährlich Aussehendes auf dem Oberarm des jungen Straßenräubers; er heulte auf und ließ ihren Beutel fallen. Blut färbte seine Kleidung, rann den Arm hinab, schnell, und bildete eine Pfütze auf dem Boden zu seinen Füßen. Alle fuhren herum, um zu sehen, wer das Messer geworfen hatte.
    Der Messerwerfer hatte braune Haare und grüne Augen. Das vertraute kalte Lächeln, wie Eis. Charles hob ein anderes Messer, wirbelte es in einem komplizierten Tanz zwischen seinen Fingern, einem Tanz, der sowohl faszinierend war als auch Furcht einflößte. Die Jungen wussten, wann sie ihre Niederlage eingestehen mussten, trotz ihrer Überzahl, und rannten weg. Elena blieb.
    Sie bückte sich, hob den Beutel auf und schlang ihn sich wieder über den Kopf. Charles Darling schlenderte heran. Das Messer war verschwunden, auch wenn Elena nicht sah, wo er es versteckt hatte. War es dasselbe, mit dem er Artur fast getötet hatte? Sie fühlte sich vollkommen ruhig.
    »Ich genieße es, dass wir uns immer auf diese Art begegnen«, erklärte er. »Ich hätte Sie schon früher eingeholt, als Sie noch im Zug waren, aber bedauerlicherweise wurde ich aufgehalten.«
    »Sie verstehen es ausgezeichnet, mich aufzuspüren«, erwiderte Elena. »Man könnte vermuten, dass Sie einen sechsten Sinn dafür haben.«
    »Könnte man vermuten.« Er lächelte. »Gratuliere zu der Heilung von Mr. Loginov. Ich hatte ihm einen tödlichen Stich versetzt. Ein sehr qualvoller Tod.«
    »Sie wissen, wo er ist?«
    »Aber ja. L’Araignee hat ihn. Ich soll Sie zu ihr bringen.« »Ich könnte mich weigern, sie zu heilen.«
    »Deshalb hält sie auch Mr. Loginov fest.« Er rieb sich das Kinn und befeuchtete sich die Lippen mit
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