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Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Titel: Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Autoren: Shereen El Feki
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Regime, die besonders fest im Sattel zu sitzen schienen – Ägypten, Libyen, Tunesien und Jemen in vorderster Reihe –, hinweggefegt und andere aufgerüttelt wurden, mag Sex als eine etwas eigenartige Themenwahl erscheinen. Einige Beobachter gingen jedoch sogar so weit zu behaupten, die Proteste seien überhaupt erst von der starken sexuellen Energie der Jugend entfacht worden. 1 Ich bin da nicht so sicher. Obwohl ich Ägypter oft sagen hörte, ihre Landsleute verbrächten 99,9 Prozent ihrer Zeit damit, an Sex zu denken, waren in den stürmischen Tagen Anfang 2011 Liebesspiele ausnahmsweise mal das, was die Menschen am wenigsten interessierte.
    Trotzdem glaube ich nicht, dass Sex völlig in den Hintergrund getreten war. Sexuelle Einstellungen und Verhaltensweisen sind eng mit Religion, Tradition, Kultur, Politik und Ökonomie verknüpft. Diese sind ein integraler Bestandteil der Sexualität – das heißt des Sexualaktes und all dessen, was damit zusammenhängt, einschließlich Geschlechterrollen und Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Lust und Intimität, Erotik und Fortpflanzung. Als solche ist die Sexualität ein Spiegel der Verhältnisse, die zu den Volksaufständen führten, und an ihr wird sich ablesen lassen, wie die hart errungenen Reformen in den kommenden Jahren voranschreiten. In seinen Reflexionen über die Geschichte des Abendlandes bezeichnete der französische Philosoph Michel Foucault die Sexualität als einen »besonders dichte[n] Durchgangspunkt für die Machtbeziehungen: zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, zwischen Eltern und Nachkommenschaft, zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Priestern und Laien, zwischen Verwaltungen und Bevölkerungen«. 2 Das Gleiche gilt für die arabische Welt: Wenn Sie ein Volk wirklich verstehen wollen, beginnen Sie damit, dass Sie einen Blick in seine Schlafzimmer werfen.
    Ohne die Ereignisse vom 11. September 2001 hätte ich diese Tür vielleicht nie aufgemacht. In dem Jahr, in dem die Welt aus den Fugen geriet, arbeitete ich bei dem britischen Wirtschaftsmagazin Th e Economis t . Bevor ich Journalistin wurde, hatte ich Immunologie studiert, und als Redakteurin für Gesundheit und Naturwissenschaften war ich weit weg von den großen politischen Debatten der Zeit. Ohne direkt involviert zu sein, hatte ich die Chance, mich zurückzulehnen und meinen Kollegen dabei zuzusehen, wie sie sich mit den Komplexitäten der arabischen Welt herumschlugen. Ich sah, wie ihr fester Glaube an die angloamerikanische Macht und ihr Überschwang in dem anfänglichen Nachglanz des Irakkriegs nach und nach Zweifeln und schließlich Fassungslosigkeit wichen. Warum begrüßten die Iraker diese neue Weltordnung nicht mit offenen Armen? Weshalb folgten sie nur selten dem Drehbuch, das in Washington und London geschrieben wurde? Weshalb entsprach ihr Verhalten in keiner Weise den Erwartungen des Westens? Kurzum: Wie tickten sie?
    Das sind für mich keine Fragen der Geopolitik oder der Anthropologie; vielmehr geht es hier um meine persönliche Identität. Die arabische Welt liegt mir im Blut: Mein Vater ist Ägypter, und durch ihn erstrecken sich die Wurzeln meiner Familie von der Betonlandschaft Kairos bis zu den Baumwollfeldern tief im Nildelta. Meine Mutter stammt aus einem fernen grünen Tal – einem ehemaligen Bergarbeiterdorf in Südwales. Dies macht mich zur Halbägypterin, obgleich die meisten Menschen in der arabischen Welt den Kopf schütteln, wenn ich ihnen das sage. Sie sehen darin nichts »Halbes«; da mein Vater ein hundertprozentiger Ägypter ist, bin ich es auch. Und weil er Muslim ist, bin auch ich als Muslima geboren. Die Familie meiner Mutter ist christlich: Mein Großvater mütterlicherseits war ein baptistischer Laienprediger, und mein Onkel brachte es – in einem Sprung anglikanischer Aufwärtsmobilität – sogar zum Vikar der Church of Wales. Meine Mutter konvertierte jedoch zum Islam, als sie meinen Vater heiratete. Sie hätte es nicht tun müssen; muslimische Männer dürfen ah l al - kita b (»Leute des Buches«) heiraten, zu denen auch Juden und Christen zählen. Meine Mutter wurde aus Überzeugung, nicht durch äußeren Zwang, zur Muslimin.
    Ich wurde in England geboren und wuchs in Kanada auf, lange bevor »Muslime im Westen« ein Thema war. Auf der Schule und an der Uni gab es ein paar Muslime, aber ich habe nie besonders viel darüber nachgedacht. Andererseits wuchs ich auch nur mit einer Prise Islam in einem ansonsten
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